: Das Ende des Sparschweinchens
Finanzminister Hans Eichel hatte einmal drei Ziele. Keines kann er einhalten. Doch wer ihm jetzt die Alleinschuld gibt, macht es sich zu leicht
von MATTHIAS URBACH
Der Haushalt: das ist das Reich nackter Zahlen. 18,9 Milliarden Euro Neuverschuldung und weniger als 3 Prozent, gemessen an der Wirtschaftsleistung, sowie ein ausgeglichenes Budget bis 2006 – das waren die Vorgaben vom Finanzminister. Von Hans Eichel (61, SPD), dem Sparkommissar. Keinen Politiker kann man so leicht bewerten wie ihn. An diesen Zahlen: Hopp oder topp.
Tut man das, so ist Eichel ein Versager. Keine der drei Zusagen kann er einhalten. Vom „Offenbarungseid“ ist die Rede, vom Rücktritt sowieso: Den fordert die Opposition schließlich schon seit vergangenem Herbst.
Ein ums andere Mal musste Eichel nun schon seine Wachstumsprognosen nach unten korregieren – und weitere Haushaltslöcher eingestehen. Dieses Mal wollte er nicht warten, bis am Donnerstag der Arbeitskreis Steuerschätzung das nächste Steuerloch prognostiziert. Dieses Mal griff er vor: sprach mit dem Spiegel und rechtfertigte sich in einem Gastbeitrag für die Financial Times Deutschland.
Denn nun musste er sein wichtigstes Ziel aufgeben. Bis 2006 ist kein ausgeglichener Haushalt mehr zu erreichen. Nach „drei Flautejahren“ müsse das 2006-Ziel „zeitlich angepasst werden“, erklärte Eichel am Wochenende kleinlaut. Und „ob es am Ende zwei oder drei Jahre länger dauert“, so der Minister weiter, „hängt von den ökonomischen Bedingungen ab“. So bedrückt klang der einstige Star des Kabinetts noch nie.
Es ist, als hätte jemand dem politischen Superman Kryptonit in die Taschen geschmuggelt. Seit zwei Jahren muss er eine Konjunkturprognose nach der anderen korregieren, muss Steuerloch um Steuerloch eingestehen. Spätestens seit er vergangenes Jahr zum ersten Mal das 3-Prozent-Kriterium von Maastricht riss, ist der einstige Star im Kabinett Schröder so entzaubert wie die New Economy.
Es ist ungewiss, ob sich Eichel von diesem Rückschlag so schnell wieder erholen wird. Da nützt es vermutlich wenig, dass ihn die grüne Finanzpolitikerin Christine Scheel in Schutz nimmt, mit dem Hinweis auf die vielen Wirtschaftsexperten, die Eichel schießlich die falschen Prognosen für seinen Haushalt geliefert hatten: „Die ganzen schlauen Leute haben sich geirrt – und jetzt sucht man einen Buhmann.“ Damit mag Scheel genauso Recht haben wie mit ihrem Seitenhieb auf die CDU/CSU: „Die ganze Zeit fordern sie mehr Geld – und wenn es im Haushalt eng wird, fordern sie Eichels Rücktritt.“
Der Finanzminister hatte es wirklichnicht leicht. Seit drei Jahren sagen die Wirtschaftsweisen regelmäßig eine konjunkturelle Erholung voraus, seit drei Jahren bleibt sie aus. Es ist das Schicksal eines Finanzministers, dass ihm trotzdem jede zurückgenommene Prognose von Opposition und Medien mit Vergnügen um die Ohren gehauen wird – auch wenn es die Sachverständigen waren, die sich verschätzt haben.
Im ersten Jahr vermochte Eichel die Fehlprognosen noch aufzufangen, da er genug Reserven im Haushalt eingeplant hatte. Doch nach diesem Kraftakt musste er den Haushalt 2002 bereits „auf Kante nähen“ – und landete am Ende bei einer Neuverschuldung von 3,6 Prozent. Für dieses Jahr nun prognostiziert er seit diesem Wochenende wieder zwischen 3 und 4 Prozent. Die Neuverschuldung wird er vermutlich auf 31 Milliarden Euro erhöhen müssen. Allein die höhere Arbeitslosigkeit wird den Bund dieses Jahr geschätzte 10 Milliarden Euro mehr kosten.
Doch man macht es sich zu leicht, alles dem Finanzminister vorzuwerfen. Erstens ist das 2006-Ziel nicht allein auf dem Mist Eichels gewachsen; es ist eine Übereinkunft mit der EU, wie der Stabilitätspakt zu erfüllen sei. Und der sieht eigentlich bereits 2004 ein gesamtstaatliches Defizit „nahe null“ vor. Zweitens war es wichtig für den Minister, das 2006-Ziel in den ersten, wirtschaftlich guten Zeiten der Regierung hochhalten zu können. Im Jahr 2000 nämlich, als das 30-Milliarden-Mark- Sparpaket von 1999 gerade erst abgehakt war und die Wirtschaft noch kräftig wuchs, murrten viele Kabinettsmitglieder über den „Sparer um des Sparens willen“. Um diese Konflikte zu bestehen, musste Eichel sein 2006-Ziel zum politischen Glaubenssatz aufbauschen. Eine finanzpolitische Vision aus besseren Zeiten, die ihm nun auf die Füße fällt.
So gesehen ist ein optimistisches Sparziel die wichtigste Disziplinierungsmaßnahme eines Ministers, der seine Kollegen zu schmerzhaften Einschnitten anhalten muss. Doch der Öffentlichkeit und der Opposition sind solche Feinheiten egal.
Der Sprung von Haushaltsloch zu Haushaltsloch und der Untersuchungsausschuss „Wahlbetrug“ haben fast vergessen gemacht, dass es Eichel war, der Rot-Grün 1999 nach dem Fehlstart wieder aus dem Umfragetief zog. Er schaffte es, an die deutsche Kleinsparermentalität anzuknüpfen und den sparsamen Staat zu popularisieren bis tief in die traditionelle SPD-Klientel hinein. Dies verstand er geschickt mit seiner Persönlichkeit zu verknüpfen. Statt Maßanzüge zu tragen, so ließ Eichel etwa damals durchblicken, kaufe er von der Stange. Eichels Image vom spröden Charme einer „Büroklammer“ war mit einem Mal sein Markenzeichen. So machte er eine Politik, hinter der außer der PDS eigentlich alle Parteien standen.
Doch es wäre zu einfach, Eichel nur als ein Opfer seiner Rolle als Finanzminister zu sehen. Ein wenig ist ihm sein Erfolg wohl doch zu Kopfe gestiegen. So buchte er 2000 die Berliner Humboldt-Universität und verkündete in einer visionär gemeinten Rede, er wolle er die Höhe der Staatsausgaben gemessen an der Wirtschaftsleistung bis 2012 von 48 auf 40 Prozent senken. Ein Plan, der schon bei der Ankündigung „heroisch und kaum vorstellbar“ war, wie ihm Wirtschaftsforscher bescheinigten.
Er hätte sich besser mit den wirtschaftlichen Folgen seiner Sparpolitik beschäftigen sollen. Unter seinem Spardruck wurden die staatlichen Investitionen in Deutschland so niedrig gefahren wie selten zuvor. Wenn aber in Zeiten schwacher Konjunktur die Unternehmen ohnehin schon auf Überkapazitäten sitzen bleiben und deshalb nicht mehr investieren, ist es verheerend, wenn der Staat sich auch noch zurückhält. Dafür ist nun aber wirklich niemand anders mehr verantwortlich als der Finanzminister.