Dicht komponiert

Durchweg gelungener Beethoven-Zyklus des NDR-Sinfonieorchesters, bei dem Pianist Pierre-Laurent Aimard fast konstant überzeugte

von REINALD HANKE

Nun ist der ambitionierte Zyklus des NDR-Sinfonieorchesters unter seinem Chefdirigenten Christoph Eschenbach abgeschlossen: Fragmente der Musikgeschichte wurden kombiniert mit fünf Ur- bzw. Erstaufführungen und den fünf Klavierkonzerten Ludwig van Beethovens. Durch die Integration in eine normale Abonnementskonzertreihe wurde dabei kein Spezialistenpublikum für Neue Musik angesprochen, sondern der ganz normale Konzertbesucher, dem die modernen Stücke durch die reizvollen Werkkombinationen und einen Solisten der Extraklasse besonders schmackhaft gemacht worden sind. Der Pianist Pierre-Laurent Aimard erwies sich zudem als Glücksfall für diesen Zyklus, auch wenn sein Auftreten vergangenen Freitag ungewohnt blass blieb.

Es gilt also Bilanz zu ziehen aus diesen fünf Konzerten: Die Werkkombinationen haben sich durchweg bewährt. Die verschiedenen Fragmente von Mozart bis Hartmann gelangen auf hohem Niveau, wenngleich keine Aufführung restlos überzeugen konnte. Dafür gerieten vier der fünf Klavierkonzerte Beethovens sensationell gut. Man erlebte Momente grandioser Beethoven-Interpretationen, die jeglichen historischen Vergleichen standhalten würden. Speziell das 4. und 5. Konzert waren wirklich herausragend. Gelinde enttäuschend war lediglich das vergangenen Freitag gespielte 2. Klavierkonzert: Pianist Aimard machte bereits im ersten Satz einen wenig konzentrierten Eindruck und vermochte dem Stück zu keinem Zeitpunkt seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Phasenweise schien es sogar, als sei er sich seiner eigenen Interpretation nicht recht sicher.

Die modernen Werke boten indes ganz verschiedene Eindrücke: Insbesondere die Kombination von Mozarts unvollendetem Requiem mit der beeindruckenden neuen Komposition von Augusta Read Thomas hat sich ins Gedächtnis eingegraben. Marc-André Dalbavies und Esa-Pekka Salonens Stücke erschienen allerdings schwach und oberflächlich. Aber mit solchen Risiken muss man als Konzertveranstalter leben. Es ist nur natürlich, dass nicht jedes neue Werk gelingt.

Zum Glück gab es neben Read Thomas‘ Werk noch zwei weitere bemerkenswerte Erstaufführungen: Wolfgang Rihms expressives Orchesterstück Verwandlung am Anfang des Zyklus und jetzt, im abschließenden Konzert, Aribert Reimanns Spiralat Halom (Traumspiralen). Aribert Reimann ist es hier einmal mehr gelungen, ein Stück von einer immensen kompositorischen Dichte zu schreiben. Da wirkte kein Ton beliebig, keine Skala willkürlich, keine Harmonie wie ein zufälliges Zusammentreffen kompositorischer Einzelideen. Die zwingende innere Logik der Musik vermittelt sich vom ersten bis zum letzten Ton. Reimanns Musik stellt sich wie eine in sich abgeschlossene Musiksprache dar, die zwar nicht für jeden zugänglich ist, jedoch unverwechselbar und in ihrer Ausdruckskraft in der zeitgenössischen Musik einen singulären Rang einnimmt. Dass Teile der Komposition an die große Heideszene in Reimanns Meisterwerk Lear aus dem Jahre 1978 erinnern, war zwar etwas irritierend, spricht aber nicht gegen das Stück. Offensichtlich ist Reimanns Kompositionskunst in ihrem Kern immer gleich geblieben und hat sich dabei spiralfömig immer weiter entwickelt. So war der Titel des Stückes (Traumspiralen) zwar nicht gemeint, so könnte man ihn aber auch interpretieren. Diese Uraufführung war der Höhepunkt des Konzertes.

Auch Eschenbachs Interpretation von Anton Bruckners 9. Sinfonie konnte nicht so unter die Haut gehen wie das Reimann-Stück, obgleich die stringente, manchmal etwas knallige, dabei aber äußerst intensive Bruckner-Deutung durchaus Niveau hatte.