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Archiv-Artikel

100 Kleisterwerke (2) Qualität ohne Wirkung?

Auch Politik lässt sich nur ästhetisch vermitteln. Deshalb deuten in unserer Serie renommierte Bremer Kunsthistoriker Plakate des Bürgerschafts-Wahlkampfes. Heute: Prof. Dr. Thomas Deecke, Direktor des Neuen Museums Weserburg

Teilt womöglich ein Museum für zeitgenössische Kunst das Schicksal einer unerfolgreichen politischen Partei? Existing only for the happy few? Wobei der Begriff der happiness, also der Fröhlichkeit, für ein Museum wohl eher zutrifft als für eine Partei der ideologischen Verbissenheit. Wir teilen allenfalls die Geringachtung durch die Kultur-uninteressierten Massen: „Kulturstadt; das sind immer die anderen!“ Die Qualität der Textplakate der PDS (Abb.1) ist jedoch künstlerisch vergleichbar mit dem der Kunstwerke in den internationalen Sammlungen des Neuen Museum Weserburg Bremen. Schön, aber ohne den breiten Massenkontakt? Das Neue Museum Weserburg ist in der glücklichen Lage aus seiner mehr als 35.000 Nummern umfassenden Sammlung von Künstlerpublikationen, dem ‚Archiv for Small Press & Communication‘ eben jenen Ahnen der PDS-Plakate ans Licht zu holen, der offensichtlich direkt oder vermittelt durch die „Internationale“ – um im Jargon zu bleiben – „der Visuellen Poesie“ für mehr als ein Jahrhundert stilbildend wirkte: Stéphane Mallarmés Gedicht vom Würfelwurf von 1897 „Un coup de dés jamais n‘abolira le hasard“ – zu Deutsch: „Ein Würfelwurf wird niemals je den Zufall auslöschen“ (Abb.2, vgl Abb.3). Zufall, das wäre für eine Partei des wissenschaftlich begründeten Sozialismus schon ein recht mutiges vorbildhaftes Motto! Nicht ganz so historisch wie die Ahnen der PDS, aber immerhin aus dem gleichen Jahrhundert. Beide haben ihre Wirkung entfaltet: Die „Visuelle Poesie“ ist inzwischen museumsreif geworden, der Sozialismus verabschiedet sich mit Sprachspielen, oder ist es gar umgekehrt?

So kalauert die PDS jetzt nach dem Motto „Lieber arm dran, als Arm ab“ (Abb.1) oder zitiert Schillers „Ode an die Freude“ in falschem und schwer zu singbarem Rhythmus: „Seit verschlungen ihr Millionen“ statt „Seid umschlungen Millionen…“ Wütet Pisa auch in der PDS? Trotzdem, inhaltlich ist dem zuzustimmen: Die Millionen, die für die Kultur nie zur Verfügung standen, sind weg und kommen wahrscheinlich nie mehr zurück oder haben sich im undurchdringlichen Nebel einer nicht vorhandenen Autobahnausfahrt verkrümelt. Aber, oh Wunder: Statt Kindergärten wird „mehr Kultur für Bremen“ gefordert. Wer könnte da als Museumsverantwortlicher widerstehen? Schöne Worte? Schöner Schein? Wahrscheinlich also doch: Qualität ohne jede Wirkung! Schau mer mal!

Thomas Deecke