: „Ey, das ist nur eine Geschichte“
INTERVIEW DANIEL BAX
Herr Akin, als Sie am Montag nach Ihrem Erfolg bei der Berlinale die Bild -Schlagzeile gesehen haben, auf der Ihre Hauptdarstellerin als ehemalige Pornodarstellerin geoutet wurde – was haben Sie da gedacht?
Fatih Akin: Das hat mich sauer gemacht. Im Sinne von: Da greift jemand meine Schwester an. Aber ich hatte nicht die Befürchtung, dass sich jetzt der Fokus vom Film auf den Skandal verschiebt. Ich wusste schon beim Schnitt: Das ist ein Film, mit dem ich glücklich bin, selbst wenn er sonst keinem gefällt.
Hat Sie die ungeteilte Unterstützung überrascht, die Sie in dieser Sache erfahren haben?
Das hat uns positiv überrascht – wie überhaupt alles seit Berlin. Das ging schon los mit der ersten Berlinale-Pressekonferenz, wo wir mit Standing Ovations empfangen wurden. Der Film schlägt viel, viel höhere Wellen, als wir alle erwartet hätten.
Langfristig wird der Skandal dem Film wohl eher nützen.
Dafür haben wir uns nie interessiert. Aber man muss aufpassen: In den ersten Tagen hatte ich das Gefühl, dass durch den Goldenen Bären für „Gegen die Wand“ so eine Art Integration stattgefunden hat – dass sich Türken und Deutsche näher gekommen sind. Aber jetzt, durch diesen ganzen Pornoskandal, besteht die Gefahr, dass es die Gemüter wieder spaltet. Auf einmal ist man dann mitten drin in Türkei-EU-Diskussionen, und das, was du gemacht hast, wird gegen dich verwendet. Da heißt es: Nee, ihr seid uns zu fremd. Guck dir doch mal deinen Film an.
„Gegen die Wand“ ist sehr radikal geraten, gerade im Vergleich zu seinen Vorgängern „Solino“ und „Im Juli“. Er scheint nicht so sehr auf ein großes, deutsches Publikum zu schielen und ist gerade deswegen so überzeugend.
Natürlich gehören auch „Solino“ und „Im Juli“ zu meiner Regie-Biografie: Diese sonnige, diese Alles-wird-gut-Seite ist Teil meiner Persönlichkeit. Aber mit „Solino“ war ich am Ende etwas unzufrieden, weil man als Filmemacher immer Kompromisse eingehen muss. „Solino“ war ein zu großes Projekt, mit zu vielen Finanziers. Danach hatte ich das Bedürfnis, so etwas radikal Intuitives zu machen wie „Gegen die Wand“.
Die Figuren in „Gegen die Wand“ sind von einer großen Wut angetrieben, die sich aber auch stark gegen sie selbst richtet. Wie kamen Sie zu diesen Figuren?
Beide Figuren sind so eine Art Alter Ego von mir. Birol Ünel steht für das Westliche, für Punk und das „Fuck off“ gegen jede Tradition, während Sibel einen Kompromiss mit der Tradition sucht. Und dann war da einfach eine große Neugierde: Es gibt hier ja eine ganze Menge Schwestern, die sich vorwiegend über Sex definieren – auch deutschtürkische Frauen, die in Sonnenstudios rumhängen, in Türkendiskos gehen und mit Hotpants, hohen Absätzen und superlangen Fingernägeln herumrennen. Aber wie geht das d’accord mit einem türkischen Elternhaus?
Die Sibel aus „Gegen die Wand“ lehnt sich gegen die Eltern und deren Moral auf. Rührt daher ihre Wut?
Es ist sicher nicht allein die Wut auf das Elternhaus, sonst hätte ich die Eltern anders dargestellt. Sibel haut ja auch nicht ab: Sie geht eine Scheinehe ein, weil ihre Eltern ihr offenbar noch etwas bedeuten. Das ist ja eine viel komplexere Wut: einerseits auf das Althergebrachte; aber dann vielleicht auch auf sich selbst Wut, nicht den Mumm zu haben, zu sagen: Nein, ich heirate nicht.
Manche kritisieren, „Gegen die Wand“ bediene ein Klischeebild.
Im Internet kursiert sogar ein Boykottaufruf. Der Vorwurf lautet: Fatih Akin beutet das Bild der türkischen Frau aus. Unter den Kritikern sind Türken, auch türkische Frauen. Ich muss diese Kritik akzeptieren. Aber ich denke, der Film ist mehr: Im Zentrum steht eine Liebesgeschichte. Witzigerweise wird viel mehr über die Hintergründe diskutiert als über das, was passiert: dass sich zwei Menschen so sehr lieben, dass sie sich fast zerstören.
Der Film hat schon einige spezifisch türkische Aspekte: etwa dass die Heirat so eine zentrale Rolle spielt. In Ihrem Film zertrümmern Sie das Idealbild einer türkischen Hochzeit mit viel Humor: Da kokst das Paar erst einmal im Hinterzimmer, um in Stimmung zu kommen
Ich habe mich auf türkischen Hochzeiten nie wohl gefühlt. Ich hatte immer das Gefühl einer kollektive Spannung. Warum ist das Licht so hell, warum gucken sich alle so an? Warum laufen türkische Hochzeiten immer gleich ab, wie in einer Fabrik?
Wie haben Sie selbst geheiratet?
Anders. Gut, meine Frau ist auch Deutschmexikanerin. Wir haben alle Normen über den Haufen geworfen und so geheiratet, wie wir es für richtig hielten. Dementsprechend war meine Hochzeit auch der schönste Tag meines Lebens. Aber bei den meisten Hochzeiten, auf denen ich gewesen bin, hatte ich echt nicht das Gefühl, dass es der schönste Tag im Leben der Protagonisten ist. Deswegen habe ich die Hochzeit in „Gegen die Wand“ so gefilmt.
Der Film kritisiert eine gewisse türkische Moral: Jungfräulichkeit vor der Ehe, die Kontrolle der Frau.
Ja. Letztlich ist der Film auch ein Plädoyer aus den eigenen Reihen, den türkischen Töchtern in Deutschland mehr Raum zu geben. Ich will nicht als der große Moralist daherkommen. Aber ich erhoffe mir schon, dass türkische Eltern, die sich den Film angucken, auch anfangen, über Erziehung zu diskutieren. Ich glaube, viel scheitert bei uns in den Familien daran, dass zu wenig über Erziehung diskutiert wird.
Ihren Eltern hat der Film ja gefallen, wie Sie sagten.
Ja, überraschenderweise. Ich war echt nervös, schließlich ist jedes zweite Wort „ficken“, und dauernd wird geschnieft und gebumst. Aber sie hatten die Gabe, darüber hinwegzuschauen. Das empfand ich als große Leistung.
Wie stark haben die beiden Hauptdarsteller die Entstehung des Drehbuchs geprägt?
Birol Ünel gab es schon vor dem Drehbuch, er hat den Film enorm beeinflusst. Sibel Kekilli stieß erst ganz am Ende dazu, aber mit der Zeit hat sie ihre Rolle immer mehr mitgestaltet. Der Film wäre mit zwei anderen Schauspielern nie so geworden.
Als Sie von Sibel Kekillis Pornovergangenheit erfahren haben, wie haben Sie da reagiert?
Ich wusste schon, dass sie diese Filme gemacht hat, als ich sie kennen lernte.
Letztlich hatten aber alle Frauen, unter denen wir am Ende des Castings die Wahl hatten, eine ungewöhnliche Vergangenheit, hatten in Frauenhäusern gelebt, Scheinehen oder Scheidungen hinter sich oder waren einmal von zu Hause abgehauen. Das lag in der Natur der Sache: dass die Schauspieler viel aus ihrer eigenen Biografie schöpfen sollten.
Das Ende von „Gegen die Wand“ lässt viele Interpretationen zu: Sibel bleibt in Istanbul und Birol alias Cahit fährt in den Heimatort seiner Eltern. Das ist ein Motiv, das in allen Ihren Filmen auftaucht: die Heimat, oder die Heimat der Eltern, als Fluchtpunkt.
Ich denke, was für alle meine Filme zutrifft ist, dass die Figuren auf der Suche sind nach einem besseren Leben, auf der Suche nach sich selbst. Die meisten meiner Filme geben auf diese Fragen aber keine abschließende Antwort, auch „Gegen die Wand“ nicht: Der Film endet, aber die Reise der beiden geht weiter. Eigentlich passiert ja sogar das Gegenteil: Aus ihrer Heimat werden die beiden, die ja deutsche Staatsbürger sind, letztlich vertrieben. Die Türkei ist für sie die Fremde.
Was bedeutet Ihnen die Türkei?
Sie ist ein Urlaubsland. Meine Heimat ist Hamburg, und das kann auch so bleiben. Ich will da nicht weg.
„Gegen die Wand“ wird sehr durch die Musik strukturiert: einerseits von düsterem Punkrock, auf der anderen Seite von türkischer Musik. Wofür stehen diese beiden Pole?
Mir ist irgendwann aufgefallen, dass die türkische „Arabesk“-Musik inhaltlich viel mit westlichem Punk gemein hat: In beiden Stilen geht es letztlich um unerfüllte Liebe und Selbstzerstörung. Das war die musikalische Grundidee: Ich dachte, hey, das handelt vom gleichen Scheiß, das ergänzt sich. So, wie sich die beiden Hauptfiguren ergänzen.
Welche filmischen Vorbilder standen Pate bei „Gegen die Wand“?
Der größte Einfluss, wenn es denn einen gab, war vielleicht das türkische Kino. Wenn es ein Merkmal gibt, welches das türkische Kino auszeichnet, dann ist es die Verkettung von Tragödie und Komödie. Dass man innerhalb von fünf Minuten lachen und weinen muss.
Wozu dienen die szenischen Einschübe mit dem orientalischen Orchester, das vor einer Postkartenkulisse in Istanbul aufspielt?
Ich wollte damit die klassische Erzählform aufbrechen. Da ich viel mit Theaterschauspielern zu tun hatte, habe ich mal geschaut, wie da so erzählt wird. Ich habe „Die Räuber“ von Schiller gelesen, das hat mich beim Schreiben des Drehbuchs inspiriert.
Das schafft ja auch eine Form der Distanzierung. Man sieht: Achtung, das ist nur Theater.
Ja, auf jeden Fall. Ich wollte so einen Filter einbauen, um zu zeigen: Ey, das hier ist nur eine Geschichte. Aber anscheinend war der Filter noch nicht stark genug, wenn man jetzt manche Reaktionen auf den Film sieht.
Haben Sie Angst, dass man die Geschichte zu sehr für bare Münze nimmt?
Ja. Davor habe ich Angst. Deshalb sage ich in jedem zweiten Interview, die Figuren sind nicht repräsentativ. Aber ich kann mich hinstellen und es so oft sagen, wie ich will: Offenbar stehen sie doch für etwas.