: Muskeln, die nicht müde machen
Rainer Fetting, „Neuer Wilder“ des Jahrgangs 1949 und Gestalter des Willy-Brandt-Denkmals, feiert in Bremen die „Rückkehr der Giganten“. Diese erste umfassende Würdigung der Fetting’schen Bildhauerei bietet spannende Einblicke in zerklüftete Rücken und auf pathosfreie Männerkörper
VON HENNING BLEYL
Eine „Rückkehr der Giganten“ könnte man sich auch eine Spur bombastischer vorstellen. Doch Rainer Fettings bildhauerisches Werk, ab Sonntag im Bremer Gerhard-Marcks-Haus zu sehen, zeigt Gauguin und van Gogh eher als tapsige, neandertalige Blindgänger denn als Imponier-Gestalten. Der Bildhauer Fetting knüpft mit ihnen an den Maler an, als der Fetting in den 70er Jahren berühmt wurde.
Strenge Mietvorschriften können durchaus für künstlerischen Fortschritt sorgen. Mitte der 80er lebte Rainer Fetting in einem Loft-Atelier in Manhattan, wohin er nach dem Niedergang der „Neuen Wilden“ in Deutschland ausgewandert war – als solcher war Fetting wegen seiner heftigen, „anti-intellektuellen“ Malerei bekannt geworden. In Manhattan also stand die Kontrolle der lediglich als Werkstatt gemieteten Räume durch staatliche Inspektoren bevor: Deswegen musste die verräterische Badewanne beseitigt werden – und wurde prompt zum Objekt für Fettings erste dreidimensionale Arbeit: „Man in Bathtub“.
Es ist das Verdienst des Marcks-Hauses, erstmals das plastische Werk Fettings in einer Gesamtschau vorzustellen. So wird es möglich, klare Entwicklungslinien zu erkennen: Die Rücken werden immer zerklüfteter, die Extremitäten expressiver, die Beine klumpiger. Die jüngsten Fettings wurden direkt aus Gießerei in das Bildhauermuseum geliefert: Zum einen „Rory“, dessen Name insofern Programm ist, als aus dem Kopf der beinah zwei Meter hohen Figur Rohre, Pinsel und anderes Langschaftiges ragen. Und die „Giganten“: Sie teilen sich in die beiden Motivkomplexe „Nackte Männer“ und „Politiker“.
Zwischen diesen gibt es bei Fetting durchaus Überschneidungen, wenn auch kleine. Inmitten des „Politiker“-Raums steht ein niedlicher nackter Brandt, dominant sind allerdings die gewaltigen Köpfe der SPD-Ikone: In leichten Variationen, aber immer mit der charakteristisch hoch gereckten Mitteltolle auf der Stirn, äugt Brandt in den Raum – was ihm allerdings nur den skeptischen Blick auf allerlei Schmidts ermöglicht. Der andere Altkanzler ist sieben Mal als Torso vertreten – dem die linke Hand als Zigarettenhalter freilich gelassen wurde. Die bronzene Konfrontation lässt ahnen, was Fetting an den beiden rein physisch schätzt: Die fast schon laszive Lässigkeit der Körpersprache, Ausdruck eines enormen Selbst- und Machtbewusstseins. Die leicht zurück gelehnten Schmidt-Torsi komplettieren sich im Blick des Betrachters mühelos zur im Freischwinger wippenden Gesamtgestalt – bei Brandt ist es die Polarität zwischen Hosentaschenhand und ihrem dauerdozierenden Pendant, die der Figur Spannung und Präsenz gibt. Man hört es fast raunzen: „Herr Kohl, Sie belügen das deutsche Volk.“
Fetting konterkariert die auratischen Aufladungen seiner bronzenen Protagonisten mit Farbe: Brandt und Schmidt stehen bekleckst und betüpfelt auf ihren Podesten, was ihnen etwas Pop-art-artiges verleiht wie auch eine inszenierte Street-Credibility – als hätten sich jugendliche Sprayer die Denkmäler in einem fiktiven öffentlichen Raum angeeignet. Bei einer Palette langbeiniger „Oles“ – zu denen kein „von Beust“ gehört – hat sich Fetting auf die grasgrüne Colorierung der Waden beschränkt, was die ansonsten makellose Athletik angenehm absurd erscheinen lässt.
Warum hat er noch nie einen wohlgeformten Christdemokraten modelliert? „Sie können jetzt nicht auf parteipolitische Vorlieben schließen“, sagt Fetting. Schröder beispielsweise würde er „auf keinen Fall“ künstlerisch verewigen, Merkel hingegen habe er immerhin schon gemalt. Dass daraus mal etwas Dreidimensionales wird,ist allerdings als unwahrscheinlich – Fettings plastische Werkliste weist insgesamt nur drei Frauen auf, übrigens auch drei Tiere. Alles andere sind Männer.
Nun müssen es durchaus nicht immer Kerle à la Willy sein, dessen 500 Kilogramm, verteilt auf 3,40 Meter, jeder Fernsehzuschauer kennt: Sie stehen im Atrium der Berliner SPD-Zentrale und gehören zu den beliebtesten Interview-Hintergründen im deutschen Nachkriegsfernsehen. Beeindruckender sind eigentlich die Männer, die Fetting als deformierte Fallende abbildet: plattköpfige Figuren mit Flatschfüßen, die offenbar dem Gewicht ihrer breitklumpigen Hände folgen müssen. Selten wirkt Bildhauerei derart unstatisch, selten sind starke Männer als so geworfen und gezogen dargestellt – nebenbei eine gießtechnische Meisterleistung. Das ist das entscheidende Charakteristikum der Fetting’schen Bildhauerei: Seine Männer sind kräftig, aber pathosfrei; wirken muskulös und maskulin, ohne ins Heldenhafte abzudriften.
Diese Dialektik kennzeichnet auch die großartigen Liegenden: Etwa „Desmond dösend“, dessen zugleich fragmenthaft und organisch wirkende Struktur aus gestrichenem Ton zu bestehen scheint, nicht aus Bronze. Von solchen Muskeln möchte man durchaus mehr sehen.
„Rückkehr der Giganten“: Bis 22. Februar, Gerhard-Marcks-Haus, Bremen. Eröffnung: Sonntag, 11.30 Uhr