: Ein „ernstes Gespräch“ mit Eichel
EU-Währungskommissar Solbes glaubt schon länger nicht mehr an den Sparplan des deutschen Finanzministers. Trotzdem hält er Eichel offiziell den Rücken frei. Haushaltskommissarin Schreyer hingegen warnt Regierung, Stabilitätspakt zu sprengen
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
Ungewohnt gute Nachrichten erreichten den deutschen Finanzminister gestern aus Brüssel: Da sich der Rindfleischmarkt nach dem BSE-Skandal schneller als erwartet erholt hat, musste die EU 1,1 Milliarden Euro weniger für Stützkäufe und Lagerhaltung ausgeben als eingeplant. Außerdem wurden Strukturfondsmittel von 4,8 Milliarden Euro bis Ende des Haushaltsjahres 2002 nicht abgerufen. Insgesamt ist ein Überschuss von 7,4 Milliarden in der Kasse, von dem Deutschland als größter Beitragszahler den Löwenanteil erhält: 1,5 Milliarden Euro fließen an den Bundeshaushalt zurück.
Angesichts des täglich größer werdenden Haushaltslochs ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein Sprecher von Währungskommissar Pedro Solbes versuchte gestern trotzdem, die jüngsten Offenbarungseide aus Berlin herunterzuspielen. „Herrn Eichels Bemerkungen vom Wochenende zeigen, wie zuverlässig unsere Wirtschaftsprognosen sind“, bemerkte er ironisch. Sein Chef hatte Deutschland schon vor Monaten vorausgesagt, auch 2003 das Stabilitätsziel von weniger als drei Prozent Neuverschuldung nicht zu schaffen.
Angesichts einer konjunkturellen Lage, in der die zwei wirtschaftlich und politisch einflussreichen EU-Länder Deutschland und Frankreich den Stabilitätspakt missachen, scheint Solbes eine direkte Konfrontation zu scheuen. „Wir als Kommission gehen weiter davon aus, dass Deutschland 2006 einen ausgeglichenen Haushalt erreicht“, sagte der Sprecher. Wie dieses Ziel mit der geplanten jährlichen Rückführung der Neuverschuldung von 0,5 Prozent erreicht werden soll, bleibt Solbes’ Geheimnis – selbst wenn man den derzeit wenig begründeten Optimismus hegt, ein solcher Sparplan sei in dieser Konjunkturlage zu schaffen.
Haushaltskommissarin Michaele Schreyer forderte, dass Deutschland seine finanzpolitischen Pläne bald in Brüssel vorlegen soll. Die EU-Kommission werde mit Deutschland „ernsthafte Gespräche“ führen, sagte sie im Bayerischen Rundfunk. Solbes warnte die Bundesregierung: Wenn die Neuverschuldung auch 2004 über den im Stabilitätspakt erlaubten drei Prozent liege, drohe eine anhaltende Schieflage der Finanzen und damit das Ende des Stabilitätspaktes zur Sicherung des Euro.
Der sieht vor, dass die Kommission zunächst beurteilt, ob die geplanten Spar- und Reformvorhaben der Bundesregierung der Lage angemessen sind. Voraussichtlich am 21. Mai will sie ihre Stellungnahme veröffentlichen. Fällt sie negativ aus, müssen die Finanzminister in einem nächsten Schritt der Bundesregierung konkrete Vorgaben machen, wie sie ihr Defizit abbauen soll. Erst wenn Deutschland auch diese Auflagen ignoriert, sind Sanktionen möglich.
Mit Zweidrittelmehrheit kann der Rat eine unverzinsliche Einlage „in angemessener Höhe“ verlangen, bis das übermäßige Defizit behoben ist. Er kann auch fordern, dass Deutschland neue Bundesanleihen oder andere staatliche Schuldverschreibungen in Brüssel melden muss. Auch Geldbußen können verhängt werden – zwischen 0,2 und 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für Deutschland käme eine Forderung zwischen 4 und 10 Milliarden Euro dabei heraus. Die Probleme des Finanzministers würden dadurch noch größer. Doch schlaflose Nächte dürfte ihm das kaum bereiten. Zu viele Leidensgenossen sitzen wegen der miesen Konjunktur im selben Boot. Außerdem werden bei der Abstimmung die Stimmen gewogen – die drei großen Schuldenmacher Deutschland, Frankreich und Italien haben mit je zehn Stimmen das mit Abstand größte Gewicht.