: „Ich war sehr verliebt, doch er kaufte Plastikflaschen“
Tanja Busse, 38, will die Revolution politisch und ökologisch bewusster Konsumbürger. Bio, Transfair, weniger Klamotten und lauwarmes Salzwasser statt Nasenspray: Dafür lässt sie jeden Waschbrettbauch stehen. Hat sie Spaß an ihrem Leben?
Interview Hanna Gersmann
taz: Frau Busse, Sie haben sich mal einen toskanischen Mann mit Waschbrettbauch – sagen wir – wegmissioniert. War das wirklich nötig?
Tanja Busse: Ich war sehr verliebt, doch leider rauchte er, aß Fleisch und kaufte Wasser in Plastikflaschen. Ich dachte, es sei eine Sache von Tagen, bis ich ihn überzeugt habe, dass Rauchen uncool ist, Gemüse besser schmeckt als Steak von unglücklichen Kühen und Bürgersteige und Strände schöner sind ohne zerknüllten Plastikmüll. Ich sagte: Plastikflaschen müsste man verbieten. Er antwortete entgeistert: Man kann doch den Leuten nicht vorschreiben, was sie kaufen sollen. Ich agitierte. Dann war er weg. Ihm schien die Freiheit des Menschen unantastbar.
Hat denn nicht jeder ein Recht, so zu leben, wie er mag?
Es steht mir tatsächlich nicht an, auf Leute zu schimpfen, bei denen zwei Autos in der Garage stehen: Wir haben auch noch eins. Und im Vergleich zu ganz armen Menschen werden wir reichen Europäer auch immer auf der Ausbeuterseite stehen. Aber wer nur mit gutem Beispiel vorangeht, kommt nicht weiter.
Warum nicht?
Dann kauft man seine guten Biosachen, fühlt sich ziemlich korrekt – und bewegt politisch nix. Eine Einkaufsrevolution ist so nicht zu machen.
Einkaufsrevolution? Shoppen kann doch die Politik nicht ersetzen!
Natürlich muss die Politik helfen, aber sie darf keine Ausrede dafür werden, dass die Kunden ihre Verantwortung nicht wahrnehmen. Ich habe mal mit einem vom Otto-Konzern über Kinderarbeit bei ihren Zulieferern in Billiglohnländern gesprochen. Er meinte: Früher habe er gedacht, für Kinderarbeit müsse doch die UNO zuständig sein. Die UNO! Nach dem Prinzip: Wir verkaufen hier nur Pullover – und mit der Fabrik haben wir nichts zu tun. Das sehe ich anders. Jeder ist verstrickt.
Wie sieht der ideale politische Verbraucher aus?
Er richtet sein Leben so ein, dass er immer Bio essen kann. Er schafft es, alle seine Freunde zu überreden, immer nur in das Biorestaurant der Stadt essen zu gehen. Er bombardiert Unternehmen mit Beschwerdemails und engagiert sich politisch. Man muss sehr, sehr detailversessen sein und darf sich selbst keine Ausnahmen gestatten.
Das hört sich verdammt anstrengend an.
Das ist auch nervig. Und ich schaffe es auch nicht hundertprozentig. Zum Beispiel Sushi. Ich weiß, dass sie aus dem gefährdeten roten Thun gemacht werden. Also esse ich sie nicht mehr. Aber mein Mann mag sie. Darum gehe ich manchmal doch mit ins Restaurant – und nehme die vegetarischen Sushi. Dann lasse ich beim Gehen aber immer den kleinen Greenpeace-Einkaufsführer für Ökofisch auf dem Tisch liegen. Das ist natürlich nicht die beste Lösung.
Ich soll also ins Restaurant Broschüren mitschleppen und vorm Gang zum Supermarkt monatelang recherchieren?
Man muss sich doch nur einmal informieren. Und es gibt mittlerweile viele Ökosiegel, die weiterhelfen. Das Transfair-Siegel für Kaffee, Tee und Schokolade zum Beispiel garantiert, dass die Arbeitnehmer auf den Plantagen im Süden vernünftige Löhne bekommen.
Was, wenn ich statt Kaffee einen Wein trinken will: Muss ich eine Flasche mit echtem Korken kaufen?
Ja, der Kork kommt von Korkeichen, die Wälder sind Rückzugsraum für Wildkatzen, Geckos, Geier. Für sie ist das gut, wenn man eine Flasche mit echtem Kork nimmt. Aber …
Was aber?
Wenn der Kork bröckelt, muss man den Wein wegkippen. Das macht angeblich 2,5 Milliarden Euro Schaden jedes Jahr.
Kompliziert! Und nun?
Ich finde Kork einfach schöner als Plastik, Glas oder Edelstahl. Da würde ich mich nicht verrückt machen – und mich nicht im Klein-Klein verheddern wollen.
Ach! Und wann muss ich mir Gedanken machen?
Es reicht schon, wenn man sich bewusst ist: Mit dem Produkt, das ich kaufe, akzeptiere ich auch bestimmte Herstellungsbedingungen. Es geht beim Einkauf nicht nur darum, Spaß zu haben und seinen sozialen Status zu unterstreichen.
Darf ich eine Aspirin schlucken, weil ich Kopfweh vom Rotwein habe?
Ja, aber man sollte sich auch bei alternativ denkenden Ärzten informieren, damit man nicht immer in die Apotheke läuft. So kann man lauwarmes Salzwasser durch die Nase spülen, wenn der Schnupfen kommt, statt sich mit Chemie die Schleimbeutel zu zersetzen.
Anderes Beispiel: Ist es noch cool, mit dem Handy zu telefonieren?
Eigentlich nicht. Man sollte zumindest wissen, dass im Handy das Mineral Coltan stecken kann, dass Coltan im Kongo abgebaut wird und dass die verschiedenen Rebellengruppen ihre Waffen durch Coltanverkäufe finanzieren.
Zum Konsumverzicht können Sie sich nicht durchringen?
Zum Weniger! Ich schreibe jetzt in die Klamotten, die ich mir neu kaufe, eine Jahreszahl. Mein Ziel ist es, alles zehn Jahre zu tragen. Ich gehe nicht in den Laden, um mir einen braunen Pullover zu kaufen, weil ich bisher nur einen grauen habe.
Wie viele Pullover haben Sie?
Ich habe gerade ein paar zu einer Obdachlosenstation gegeben. Jetzt habe ich vielleicht noch sechs Anziehpullover und drei für den Sport. Es gibt inzwischen ein paar junge Designer, zum Beispiel Kuyichi. Das holländische Label zeigt, dass lässige Jeans auch öko sein können. Die bemühen sich, den Biobaumwollanteil zu steigern und achten auf Arbeitsrechte. Leider ist das nicht ganz billig.
Wie soll sich der Hartz-IV-Empfänger das leisten?
Dem Hartz-IV-Empfänger würde ich nicht sagen: Kauf dir mal eine Ökodesignerjeans! Sondern: Schreib eine E-Mail ans Unternehmen: Wie haltet ihr es mit Sozialstandards? Aber schickt mir nicht eure Imagebroschüre! Sagt mir, wie ihr kontrolliert, dass mein T-Shirt nicht von übermüdeten Kindern genäht wurde, die lieber zur Schule gegangen wären. Es geht darum, Druck zu machen.
Gibt es Hersteller, die der Kundenmacht erlegen sind?
Die Kampagne Saubere Kleidung hat mal entdeckt, dass in einer Zulieferfabrik von Tchibo hunderte Textilarbeiterinnen entlassen wurden, nur weil sie Mitglied einer Gewerkschaft waren. Als dann ein paar tausend Protestpostkarten bei Tchibo gelandet sind, hat das Unternehmen eine Stelle für soziale Verantwortung geschaffen. Die entlassenen Näherinnen wurden entschädigt und wieder eingestellt.
Aber was bringt eine Firma? Jeder Deutsche kauft im Schnitt zweimal am Tag ein Produkt, macht 160 Millionen Entscheidungen am Tag.
Man kann das kleinrechnen, man kann aber auch sagen: 10.000 Bauern haben in Deutschland auf Bio umgestellt. Die hätten ihre Höfe sonst dichtgemacht oder wären hochindustrialisierte Schweinemäster geworden. Zugegeben, man braucht eine kritische Masse von Verbrauchern …
… und es ist unwahrscheinlich, dass Aldi bald boykottiert wird …
… aber wenn fünf Prozent der Bevölkerung woanders kaufen, Mails an Unternehmen schreiben oder Abgeordnete im eigenen Wahlkreis nerven, hilft das.
Frau Busse, woher kommt Ihr Antrieb?
Es ist ein Grundgefühl: Wie es ist, ist es nicht gut. Es könnte anders sein. Und ich habe so eine Urbindung an die Natur. Als Kind habe ich auch rosa Süßigkeiten toll gefunden. Doch jetzt finde ich es schöner, einen Ökoapfel zu essen. Vielleicht ist das auch so eine Sehnsucht nach einem Zurück zur Natur, nach weniger Plastik und Chemie.
Ist der bewusste Konsum ein Frauending?
In meiner Beziehung ist das so: Ich bin diejenige, die vom Lande kommt, und diejenige, die Biohöfe toll findet. Ich habe das Ökoessen langsam eingeführt. Vor allem junge Mütter legen mehr Wert auf Gesundes. Viele beginnen Bioessen zu kaufen, wenn sie Babys bekommen. Aber manche fahren dann mit ihrem spritfressenden Geländewagen zum Einkaufen. Ob sie die besseren Konsumenten sind – unklar.
Onlineportale für Ökos wie Utopia.de kommen schick und bunt wie Frauenzeitschriften daher. Ist politischer Konsum ein Wellnessangebot?
Die Gefahr gibt es. Der Sinn ist nicht, dass man jetzt den Kleiderschrank ausmustert und alles doppelt und dreifach schön und neu kauft!
Warum leben Sie eigentlich nicht in einer Land-WG, wie Ökos früher?
Weil mein Mann in der Stadt arbeitet. Aber ich habe auf dem Lande meine Konsumprägung bekommen. In Ostwestfalen, wo ich aufgewachsen bin, sagten die alten Leute: Ist das hier nicht schön? Die brauchten nichts. Das war Öko ohne politische Aussage.
Ihr Vater war Bauer, ganz konventionell. Fand er Sie spinnert?
Anfangs ja. Aber sagen wir es so: Ich habe ihn erfolgreicher missioniert als den Italiener mit Muskelbauch. Mein Vater sagte oft: Leg mir einen Plan für unseren Hof vor. Ich hätte das gerne gemacht, wäre gerne zurückgegangen, aber da hatte ich schon meine Familie in der Stadt.
Städter machen den Bauern Vorgaben – und gehen dann wieder.
Es geht auch anders – mit Community Supported Agriculture. Eine Familie zahlt pro Person und Monat an einen Bauern eine Ernährungspauschale, etwa 100 Euro im Monat. Er hält dafür Hühner, Kühe, Schweine – so wie seine Financiers es wollen. Die holen sich dann die Eier, das Fleisch und Gemüse, das sie brauchen. Das gibt es um Hamburg herum bereits zweimal, auf dem Buschberghof und auf dem Kattenbacher Hof.
Machen Sie mit?
Das ist leider zu weit von uns weg. Wir bekommen nur eine ganz normale Gemüsekiste. Aber wir wollen wir einen Gemüsegarten anlegen.
Frau Busse, haben Sie eigentlich Spaß im Leben? Könnten wir jetzt einfach einen Kaffee trinken gehen – in einem x-beliebigen Gasthaus?
So richtig unbeschwert, nein! Aber manchmal, wenn ich ganz müde bin, kann ich von einem Milchkaffee nicht lassen – auch wenn er nicht bio und fair ist.