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Archiv-Artikel

Kanzler im Tiefflug

Die größte Reform der SPD: Gerhard Schröder schafft seine Ex-Partei ab

Menschen, die Gerhard Schröder immer noch für einen Sozialdemokraten halten, sind hoffnungslose Fälle. Etwas Preiswerteres als Mitleid sollte man nicht für sie übrig haben. Wer aus sentimentalen Gründen mehr ausgeben will, kann ihnen zehn Euro Quartalseintritt für den Therapeuten spendieren. Das kommt auf Dauer etwas günstiger als 45 Cent, die dieser erbarmungswürdige Teil des deutschen Volkes bisher täglich für eine Bild-Zeitung ausgeben musste, wenn er alles über den Inhalt des Bundeskanzlers erfahren wollte. Das aber ist ab sofort – selbst für diesen Zweck – rausgeschmissenes Geld.

Der oberste Repräsentant der Volkspartei SPD wendet sich endgültig vom Volk ab. Er spricht nicht mehr mit ihm. Jedenfalls nicht mehr über sein angestammtes Vermittlungsorgan Bild. Schröder boykottiert das Blut- und Hodenblatt, das ihm verhältnismäßig lange die Stange gehalten hat. Zum Politikmachen brauche er nur Bild, Bild am Sonntag und die Glotze, sagte er einst in einem lichten Moment. Dass er selbst eine gedeihliche Zusammenarbeit mit den Tittenjournalisten nicht dauerhaft hinbekommen hat, muss für einen wie ihn das niederschmetterndste Ergebnis der politischen Karriere sein.

Es ist ein langweiliger Zeitvertreib, sich den Kopf des Kanzlers und der ihm angeschlossenen Rest-SPD zu zerbrechen. Sie zerbricht von ganz allein. Da kann der Übergangsvorsitzende Müntefering sich noch so oft den roten Schal um den Hals wickeln und Stallgeruch emittieren. Die klassische Kundschaft hat die Nase voll und kann das künstliche Aroma trotzdem drei Meilen gegen den Wind riechen. Und auch Bild hilft nicht mehr mit, der gemeinsamen Klientel, dem kleinen Mann und seiner Frau, die Umverteilung von unten nach oben als notwendigen Reformprozess zu verkaufen.

Dieses Geschäft muss sie demnächst für Frau Merkel und Herrn Stoiber besorgen. Das wird sich noch etwas ziehen, denn eine Zeit lang wird die SPD für restliche Abbrucharbeiten noch gebraucht. Die übelsten Zumutungen muss Schröder mit seinen grünen Vertragspartnern noch verabschieden, bis er verabschiedet wird. Dann ist der Auftrag der aktuellen Sozialdemokratie erledigt.

„Jede große Reform hat nicht darin bestanden, etwas Neues zu tun, sondern etwas Altes abzuschaffen.“ Diese Erkenntnis hatte der britische Historiker Henry Thomas Buckle im 19. Jahrhundert, also in der Zeit der Entstehung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. So gesehen hat die moderne Schröder-SPD eine große Reform tatsächlich erfolgreich erledigt: Die eigene Abschaffung. Sie muss nur noch formell bestätigt werden.

FRITZ ECKENGA