: „Es gibt eine ganze Herde schwarzer Schafe“, sagt Wolfgang Schaupensteiner
Der Fall Wildmoser zeigt: Korruption ist in Deutschland alltäglich. Die Justiz tut dagegen, was sie kann – die Politik nicht
taz: Herr Schaupensteiner, hat Sie der Korruptionsskandal um den Bau der Münchner „Allianz Arena“ überrascht?
Wolfgang Schaupensteiner: Nein, das kann mich nicht überraschen. Die Risiken, dass solche Megaprojekte mit Schmiergeldern einher gehen, sind außerordentlich hoch. Ich will nicht behaupten, dass jede Investition in diesem Umfang mit Korruption zu tun hat, aber man muss damit rechnen. Jeder Investor ist gut beraten, wenn er frühzeitig sein Krisenmanagement entsprechend ausrichtet.
Quer durch die Republik werden für die WM 2006 Fußballstadien gebaut. Ist es denkbar, dass andernorts alles korrekt läuft? Oder stellen sich dort die Abkassierer nur geschickter an?
Zu glauben, dass alle Mitarbeiter loyal sind und alle Firmen sich an die Regeln halten, wäre naiv. München sollte ein Signal sein, dass man an anderen Baustellen mehr kontrolliert, um auszuschließen, dass es erneut Schlagzeilen gibt.
Den letzten Stadienbauboom gab es vor der WM 1974. Korruptionsskandale sind nicht erinnerlich. Hat man damals nicht genau genug hingeschaut?
Schauen Sie, diese Republik hat Korruption als strafrechtliches Thema doch erst Ende der 80er-Jahre entdeckt. Auslöser war die Frankfurter Korruptionsaffäre. Davor war Korruption auch tabuisiert.
Es hat sich also niemand dafür interessiert?
Es konnte sich damals keiner dafür interessieren, weil es mit Korruption keine Erfahrung gab – von wenigen Fällen in der Adenauer-Zeit mal abgesehen, die aber aus heutiger Sicht eher skurrilen Charakter hatten.
Aber Korruption, wie sie jetzt anzutreffen ist, nämlich als organisiert betriebener Teil von Geschäftspolitik, war völlig unbekannt. Man kannte auch keine Indikatoren dafür. Selbst wenn sich Staatsanwälte dafür interessiert hätten – sie hätten sie nicht entdeckt.
Vielleicht gab es damals weniger Korruption?
Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Das belegten die Fälle, die wir seit den 80er-Jahren aufgedeckt haben, wo korruptive Geschäftsbeziehungen zwischen Firmen und Behörden oder privaten Auftraggebern über viele Jahrzehnte zurückreichen und zum Teil vom Vater auf den Sohn vererbt wurden.
Sie haben vor zehn Jahren dem Baugewerbe attestiert, dass hier mit „deutscher Gründlichkeit“ bestochen wird. Geändert hat sich bis heute nichts. Spricht das nicht für ein eklatantes Versagen der Strafverfolgungsbehörden?
Ich habe Verständnis dafür, dass man so eine Causa sucht. Es ist immer leicht, den Strafverfolgungsbehörden den Schwarzen Peter zuzuschieben. Aber das geht fehl. Der Blick sollte besser auf die Wirtschaft gerichtet werden. Denn sie ist es doch, die im Wesentlichen verhindert hat, dass zum Beispiel ein Korruptionskataster in der Bundesrepublik eingeführt wird. Die bundesweite Aussperrung kriminell agierender Unternehmen ist nach wie vor nicht möglich, weil das Gesetz blockiert worden ist.
Würde dann nicht die gesamte Baubranche ausgesperrt? Oder kennen Sie eine Baufirma, die noch nicht mit „nützlichen Aufwendungen“ gearbeitet hat?
Es gibt mit Sicherheit eine ganze Reihe von seriösen Firmen – auch in der Bauwirtschaft. Ich werde einen Tort tun, zu behaupten, dass jeder Unternehmer auch gleichzeitig ein Wirtschaftskrimineller ist. Aber es gibt zu viele schwarze Schafe. Es gibt hierzulande ganze Herden davon.
In München ging es um einen 280-Millionen-Euro-Auftrag, an Provisionen sollen 2,8 Millionen Euro gezahlt worden sein. Sonst sind höhere Prozentsätze üblich. War Wildmoser junior ein schlechter Geschäftsmann?
Richtig ist, dass sich in der Bauwirtschaft eine Art Prozentskala herausgebildet hat. Man muss also nicht erst hart verhandeln, um die Usancen kennen zu lernen. Diese Skala bewegt sich bei Großprojekten zwischen 1,5 und drei Prozent, bei kleineren Maßnahmen wie Reparaturen bis zehn Prozent.
Dass hier „nur“ ein Prozent der Auftragssumme gezahlt worden sein soll, ist für mich ein Beleg neuer deutscher Bescheidenheit. Es muss also nicht unbedingt so sein, dass hier jemand das Geschäft nicht verstanden hat.
Sie prangern seit Jahren Korruption an, geändert hat sich nicht viel. Alles vergebliche Liebesmüh?
Wir werden die Korruption nie ausrotten. Aber es bleibt nichtsdestotrotz die Aufgabe, der Gesellschaft ein Gespür dafür zu vermitteln, dass Korruption ein Angriff auf diesen Rechtsstaat darstellt. Immer noch ist das Unrechtsbewusstsein retardiert und tendiert gegen Null. Häufig sind die Schmiergeldempfänger sogar der Meinung, sie hätten geradezu Anspruch auf eine „Vergütung“ oder „Aufwandsentschädigung“.
Woran liegt das?
Die Korruption wird nach wie vor in Deutschland, aber nicht nur hier, leicht gemacht. Die Bereicherung ist beinahe risikolos möglich, weil die Entdeckung so außerordentlich schwer ist. Das liegt daran, dass wir es mit sehr intelligenten Wirtschaftsstraftätern zu tun haben – und dass die Strafverfolgungsbehörden durch die Politik nicht ausreichend aufgerüstet sind, um Paroli bieten zu können.
INTERVIEW: PASCAL BEUCKER