: „Kirchenasyle werden ausgehungert“
Bedrängte, die in einem Gotteshaus Schutz vor Abschiebung suchen, müssen dort jahrelang ausharren. Zugleich steige die Zahl aussichtsloser Fälle, warnt Bettina Clemens vom Nordelbischen Arbeitskreis Asyl in der Kirche, der jetzt zehn Jahre alt wurde
Interview: EVA WEIKERT
taz: Was war 1994 der Anlass für die Gründung des Arbeitskreises?
Bettina Clemens: Die damalige Zunahme an Abschiebungen in Hamburg und die Einschränkung des Asylrechts 1993 etwa durch die Drittstaatenregelung.
Warum ist es trotz des geltenden Asylrechts notwendig, Kirchenasyl zu gewähren?
Das geltende Asylrecht ist rigide und eingeschränkt. Es weist an vielen Stellen Lücken auf, durch die viele Menschen fallen. Das zeigt sich an der geringen Anerkennungsquote bei den Asylverfahren. Dabei kommt es aber, wenn nachgebohrt wird, doch zu vielen Aufenthalten. Und leider legt die Behörde das an vielen Stellen dehnbare Ausländerrecht oft zu Ungunsten der Antragsteller aus.
Welche Schutzlücken gibt es?
Konkrete Lücken sind etwa die fehlende Anerkennung geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung. Aber es geht auch um das Anhörungsverfahren, das Flüchtlingen oft in seiner Bedeutung nicht bewusst ist. Bei der Anhörung vor dem zuständigen Bundesamt oder einer Ausländerbehörde wissen die meisten nicht, wie konkret ihre Berichte sein müssen. Versäumnisse können aber im Nachinein nicht geltend gemacht werden. Allein durch Unwissenheit passiert es, dass Menschen abgelehnt werden und dann aus Angst vor Abschiebung untertauchen.
Wem gewährt die Kirche Asyl?
In der Mehrzahl suchen Menschen ohne Papiere Asyl in der Kirche. Es gibt aber alle möglichen Konstellationen. Jetzt droht uns der Fall eines Indonesiers, der seit 18 Jahren hier lebt und dem jetzt die befristete Aufenthaltserlaubnis entzogen wurde. Wir sehen Kirchenasyl als Hilfe für Menschen, die durch Schutzlücken gefallen sind, in deren Verfahren es Fehler gab, oder die etwas nicht vorbringen konnten, weil sie traumatisiert waren.
Wie erfolgreich ist Ihr Engagement in Nordelbien?
Seit 1987 gab es in Hamburg und Schleswig-Holstein 41 abgeschlossene Kirchenasyle, bei 23 konnte die Abschiebung verhindert werden. Das ist weniger als im Bundesdurchschnitt. Da liegt die Erfolgsquote bei 73 Prozent.
Woran liegt das?
Die Gesprächsbereitschaft gerade der Hamburger Ausländerbehörde ist sehr gering. Das zeigt sich daran, dass inzwischen die meisten Kirchenasyle über viele Jahre andauern. Die Behörde weiß davon, aber es passiert nichts. Die Kirchenasyle werden ausgehungert, die Behörde wartet, wer den längeren Atem hat.
Steigt der Druck auf Kirchenasyle unter dem Rechts-Senat?
Nein, der Umgang mit Kirchenasyl hat sich hier in den vergangenen zehn Jahren nicht weiter verschärft. Die erste gewaltsame Räumung eines Kirchenasyls in Deutschland war schließlich in Hamburg unter der SPD. Das war 1984 der Fall Alviola. Es gibt aber seit zwei Jahren unter dem Rechts-Senat insgesamt eine Verschärfung der Flüchtlingspolitik und der Behördenpraxis.
Da würde man einen Anstieg der Kirchenasyle erwarten.
Nein, die Zahl ist gleich bleibend. Die Zahl der Gemeinden, die helfen, ist konstant begrenzt. Zudem gucken wir genau, wer ins Kirchenasyl genommen wird. Das sind Menschen, bei denen aus rechtlichen oder humanitären Gründen noch eine Chance auf ein Aufenthaltsrecht besteht. In Hamburg gibt es aber zunehmend Fälle, bei denen da nichts mehr zu machen ist. Der Anstieg aussichtsloser Fälle liegt an der Rechtslage, aber auch am verschärften Umgang der Stadt mit Flüchtlingen. Darum müssen wir heute mehr Alternativen zum Kirchenasyl suchen. In aussichtslosen Fällen ist Krisenhilfe nötig, etwa durch ein Obdach und das Ausloten von Alternativen wie Weiterwanderung.
Wie fühlen sich Leute im Asyl?
Grundsätzlich ist das Kirchenasyl ein sehr belastender Zustand. Der Druck ist manchmal so hoch, dass die Menschen erkranken. In Gemeinden, wo die Menschen in Absprache mit der örtlichen Polizei auch mal raus können, ist es etwas besser. Aber es gibt auch Fälle mit furchtbarem Druck, wenn Menschen in dem Raum bleiben müssen, in dem sie ihr Kirchenasyl haben und sich nicht betätigen können. Das ist dann wie ein Gefängnis.
Hilfe für Statuslose ist strafbar. Fühlen Sie sich kriminalisiert?
Das Gefühl kommt immer mal wieder auf, wenn Strafverfahren angeregt werden. In Hamburg wurde aber bisher nicht gegen Helfer ermittelt. Wir selbst sehen unser Handeln nicht als kriminell an. Es geht uns darum, die Grundrechte der Verfassung gegen eine rigide Asylpolitik und Behördenpraxis zu verteidigen.
Was fordern Sie vor diesem Hintergrund für das Zuwanderungsgesetz?
In ihm müsste die Menschenwürde oberste Priorität haben. Es müsste Ermessensspielräume geben im Gesetz, wo die Menschenwürde der Maßstab ist. Konkret fordern wir eine Härtefallregelung. Jene, die schon viele Jahre hier leben, sollen ein Bleiberecht bekommen.