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Archiv-Artikel

80 Zeilen Kulturhauptstadt (1) Jochen Bonz: „Wie der Fisch aus der Volvo-Werbung“

Langsam wird’s ernst mit Bremens Bewerbung für den Titel „Kulturhaupstadt Europas 2010“: Ende März legt Bewerbungsintendant Martin Heller das Bewerbungskonzept den Politikern zur Beschlussfassung vor. Da ist viel in den letzten Monaten passiert, vor und hinter den Kulissen, und sei es nur die Renaissance der Bremer Stadtmusikanten als Marketingelement der Bremer Bewerbung. In einer Serie fragt die taz Akteure und Kenner der Bremer Kulturszene nach dem Stand der Dinge in Hirn und Bauch. Den Auftakt macht der Kulturwissenschaftler Jochen Bonz.

Wenn die Kulturhauptstadt ein Tier wäre, welches wäre es?

Zwei Antworten. Die Kulturhauptstadt ist zunächst ja eine Kulturhauptstadt-Bewerbung, und für diese steht Martin Heller. Was ihn auszeichnet, ist gerade das Alleruntierischste – auch wenn er aussieht, wie ein Bär. Heller ist interessiert an dem, was anders ist. Er ist selbstreflexiv. Seine Konzeption legt er nicht nach vorgegebenen Mustern, sondern als Prozess an. Er ist freundlich – und er hat Macht. Also wirklich völlig untierisch.

Die zweite Antwort: Die Kulturhauptstadt-Sache ist für Bremen wie der Fisch aus der aktuellen Volvo-Werbung: ganz schön groß und muss dringend irgendwo Wichtiges hingebracht werden. Man kann mit ihm spielen, er kann einem aber auch auf die Straße runterfallen, dann gibt’s einen Stau und die Polizei kommt. Er ist glitschig. Er ist zum Fressen da.

Was hat die Kulturhauptstadt bisher mit Bremen gemacht?

In meiner Wahrnehmung – als vor 15 Jahren Zugezogener – ist es für Bremen kennzeichnend, dass in der Regel von einer Position aus gesprochen und gehandelt wird, die anzeigt, ‚so und so ist es‘, ‚das und das ist richtig‘. Anstatt den Zweifel zuzulassen. In diesem Zusammenhang gehört für mich auch die Feststellung, dass die viel beschworenen kurzen Bremer Wege in der Praxis ja vor allem Cliquenwirtschaft bedeuten – und ein wesentliches Moment der Cliquenwirtschaft ist die wechselseitige Selbstbestätigung. (Es geht nicht immer nur um Geld.)

Im Bereich der Kulturförderung macht die Bewerbung diese beiden Aspekte sichtbarer als sie das sonst wären. Und ich denke, sie stellt sie auch in Frage. Eine Bestandsaufnahme – und das ist die Bewerbung im Grunde – zeigt schon etwas von der Wirklichkeit, oder?

Was hat sich unmittelbar für Sie geändert?

Ich habe in meinem Alltag beinahe nur mit nicht-subventionierter Kultur zu tun. Zum Beispiel mit Musik, wie sie auf dem Bremer Label „Esel“ veröffentlicht wird. Das ist eine gelebte Kultur jenseits der Wahrnehmung durch die Kulturpolitik. Daran muss sich etwas ändern, gerade wenn Hellers gute Idee der Brutstätten mehr sein soll, als eine Bestätigung für bereits institutionalisierte kreative Räume. Es müssen Stipendien für Kreative her. Es muss ein Budget für Festivals geben. Dass es mir heute möglich ist – alleine schon vor mir selbst! – diesen Wunsch zu formulieren, nehme ich als Zeichen für eine Veränderung, eine Bewegung, deren Ursache Heller ist. Von mir aus auch die Bewerbung an sich. Fragen: hb/bes/kli