: Putin erscheint Russen als Retter
betr.: „Kostümprobe für die Autokratie“, taz vom 13. 3. 04
Eine wirklich gründliche Analyse der politischen Situation aus westlichem Blickwinkel. Sie lässt allerdings eines weitgehend außer Acht: die Plünderung des russischen Volksvermögens durch clevere Parteibonzen und Jungmanager während der Jelzin-Anarchie. Der extrem profitable Energie- und Rohstoffsektor ist in dieser Zeit in die Hände weniger Oligarchen geraten, die ihre Gewinne vorrangig ins Ausland transferieren. So hat sich eine kleine Schicht von Superreichen und eine größere Schicht von wohlhabenden Mittelständlern vor allem in den Großstädten Moskau und St. Petersburg gebildet, der eine überwältigend große Schicht von unterprivilegierten, verarmten Russen gegenübersteht.
Putin schickt sich nun an, die Auswüchse der betrügerischen Privatisierung zurückzudrehen, das Volksvermögen zu sichern und die Interessen des Landes international mit Nachdruck zu vertreten. Dass er bürgerliche Freiheiten beschneidet, ist für russische Intellektuelle und das westliche Ausland sehr schmerzhaft, ganz abgesehen von den Verbrechen in Tschetschenien. Aber für die überwiegende Mehrheit der einfachen, traditionsbewussten Russen muss Putin wie ein Retter erscheinen. Diesen realistischen Blickwinkel vermisse ich in westlichen Kommentaren, die sich an idealisierten Demokratievorstellungen orientieren und die ökonomischen Bedingungen im Land ignorieren. STEFAN SCHROETER, Leipzig
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