nebensachen aus brüssel
: Geduldsproben, bis das Telefon endlich klingelt

Bei Kindern und Journalisten wird es bekanntlich geschätzt, wenn sie sich die Fähigkeit zum Staunen bewahrt haben. Nach fünf Jahren in Belgien glaubte ich mich inzwischen abgestumpft gegenüber den Besonderheiten meiner Mitbürger. Dieser Tage gelang es ihnen jedoch einmal mehr, mich zu verblüffen. Der Grund: Ich habe unlängst ein Dachgeschoss ausgebaut und bin umgezogen. Völlig unbelgisch handelte die Stadtverwaltung und erteilte nach nur sechs Monaten die Baugenehmigung. Dafür hielt sich unser netter alter Architekt an den landesüblichen Kodex, harte Wahrheiten überhaupt nicht zu kommunizieren.

Am Tag des geplanten Baubeginns fuhr er in Urlaub – ohne sich abzumelden. Der in den Monaten zuvor mehrfach geäußerter Stoßseufzer, seine Frau fühle sich von ihm vernachlässigt, hatte für mich nun seine eigentliche Bedeutung. Wir bauten also im Spätherbst mit einem neuen Architekten. Der war zwar weniger rücksichtsvoll, aber berechenbar. Derweil stellte ich mich der nächsten Herausforderung: Die Begegnung mit einem Mitarbeiter der belgischen Telefongesellschaft, Belgacom. In meinem Bekanntenkreis wechseln die Leute berufsbedingt oft die Wohnung. Und mit den damit einhergehenden Anekdoten zum Thema Telefon ließen sich Bücher füllen. Für den Morgen, an dem sich Belgacom angesagt hatte, lud ich mir ein paar Freundinnen zum Frühstück ein. Ich rechnete nicht damit, dass der Techniker auftauchen würde, und so würde ich mich weniger ärgern.

Doch schon um halb neun klingelte ein freundlicher Mann in lehmigen blauen Overall. Mein Besuch war begeistert, und fortan wollen auch sie Belgacom-Termine mit einem gemeinsamen Brunch verbinden. Momente später war mir klar, dass ich meine Aufmerksamkeit unmöglich gleichzeitig meinen Gästen und dem „wahnsinnigen“ Telefontechniker widmen konnte. Nachdem er die Lage ausführlich inspiziert hatte, den Kopf mehrfach missbilligend schüttelte, verschwand er grußlos. Nach dreißig Minuten machte ich mich dann auf die Suche nach ihm. Direkt vor meiner Haustür ist, wie überall im Stadtzentrum, direkt unter dem Pflaster der Strand. Dort stand er schwitzend und buddelnd bis zur Hüfte in einem gewaltigen Loch. Gelegentlich hievte er sich ins Haus zurück, um den Sand einigermaßen gerecht über die Stockwerke zu verteilen und dabei die vorhandenen Leitungen zu prüfen. Die Aussicht, innerhalb eines Tages ohne Komplikationen ein neues Telefon zu bekommen, verwirrte mich. Vorurteile fielen wie Kartenhäuser in sich zusammen.

Dann kam meine Welt aber doch wieder in Ordnung: Die Leitung könne an diesem Tag natürlich nur bis in den Keller gelegt werden, eröffnete mir der Techniker. Für Sonderwünsche, wie in meinem Fall, sei eine andere Firma zuständig. Ich solle dort anrufen, und mit Glück gäbe es in vier Wochen einen freien Termin. Ich konnte den Mann schließlich überreden, eine Notleitung zu legen. Als er begann, mit dem Vorschlaghammer ein faustgroßes Loch in die Stuckdecke im Wohnzimmer zu schlagen, klingelte mein Handy. „Du klingst so gereizt“, deutete die Berliner Redakteurin meine Stimme. „Non, monsieur, non!“, brüllte ich in Richtung Techniker, statt einer besonnenen Antwort ins Handy. Der Mann im lehmigen Overall ließ überrascht den Hammer sinken, offensichtlich beleidigt, dass ich seinen Einsatz nicht zu würdigen wusste.

Er zog seine Tackerpistole, mit der er nun aus der Hüfte schoss, um das Notkabel neben das Heißwasserrohr an die Wand zu heften. Ich schmiss ihn raus. Es wird ihn sicherlich in der Erfahrung bestärkt haben, dass die Deutschen einfach nicht wissen, was sie wollen.

DANIELA WEINGÄRTNER