Ein guter Tag für Wen

Chinas neuer Premier sucht seine Linie. Die Wirtschaft ist ihm wichtiger als Verfassungsänderungen

PEKING taz ■ Jeder kenne seine Meinung, sagte Premierminister Wen Jiabao gestern in der Großen Halle des Volkes in Peking. Doch was Wen dann zur blutigen Niederschlagung der chinesischen Studentenrevolte im Frühjahr 1989 anzumerken hatte, traf einen neuen, erklärungsbereiten Ton. „Ende der 80er-Jahre befanden wir uns in einer weltpolitischen Krise“, erläuterte der Premier. „Die Sowjetunion fiel auseinander. Das Überleben der Partei und des Landes stand auf dem Spiel. In dieser Lage gelang es uns, den Zusammenhalt des Landes zu bewahren. Seither sind 15 Jahre vergangen und die in dieser Zeit erreichten großen Leistungen sollten heute für sich selbst sprechen.“

Die Unaufgeregtheit seiner Rede, insbesondere der in der KP bisher nur unter Wissenschaftlern geführte Verweis auf das Ende der Sowjetunion, signalisierte, dass sich mit Wen über das Thema reden lässt.

Mit nur sieben Gegenstimmen stimmten die knapp 2.900 Delegierten dann Wens Rechenschaftsbericht zu. Ähnlich einhellig segnete der Kongress die von der Partei vorgeschlagenen Verfassungsänderungen ab. Demnach ist Eigentum in China nun „unverletzlich“, muss dort der Staat die Menschenrechte „respektieren und wahren“. Allerdings betonte Wen im Anschluss, dass die führende Rolle der Partei in Chinas Verfassung verankert sei. Vom Schutz des Eigentums und der Menschenrechte kann also nur so weit die Rede sein, wie es die KP nicht anficht. Ohnehin hat das Land aus Wens Sicht drängendere Probleme: „Die alten, tief gehenden Probleme (der Planwirtschaft, d. R.) sind noch nicht gelöst, und neue Probleme wie die der Energieknappheit und der zu schnell wachsenden Investitionen kommen hinzu“, warnte der Regierungschef. So sei die makroökonomische Steuerung heute schwieriger als je zuvor. „Wenn wir darin versagen, sind Rückschläge unvermeidlich“, sagte Wen. Eindringlich beschwor der Premier die Notwenigkeit einer Bankenreform, die aus staatseigenen Geldhäusern „kommerzielle Einrichtungen“ machen soll und für die größten Banken Börsengänge im Ausland vorsieht. „Wir können uns hier ein Scheitern nicht leisten“, so Wen. Doch dann landete er wieder beim Traum vom Sozialismus: „Der Sozialismus ist wie ein hoher Berg, der jeden Stein aufnimmt, damit er stärker wird.“

GEORG BLUME