speichenbruch : BDR setzt Medaillen aufs Spiel
Der Bund Deutscher Radfahrer weigert sich weiterhin standhaft, Daniel Becke und Jens Lehmann für sich starten zu lassen
Nach dem Spiel ist ja vor dem Spiel – und natürlich sind auch im Bahnradsport die Dinge derart übersichtlich geregelt. Soll heißen: Kaum ist der eine Weltcup, jener in Mexiko, übers hölzerne Oval gegangen, stehen auch schon die Vorbereitungen für jenen in Manchester an, Anfang April wird dieser stattfinden. Die Fahrer, die dort dann Ruhm und Ehre für den Bund Deutscher Radfahrer (BDR) einheimsen sollen, werden freilich heute schon nominiert – und als ziemlich sicher darf auch gelten, dass auf der Liste die Namen Daniel Becke und Jens Lehmann erneut fehlen werden. Das wäre zunächst einmal nicht viel mehr als eine kleine Randnotiz, wenn es sich bei den beiden nicht um zwei der derzeit besten deutschen Bahnradler handeln würde – und längst um ein sportliches Politikum. Der BDR, dieser Eindruck ist nicht mehr vom Tisch zu wischen, will nämlich gar nicht, dass die Besten für ihn an den Start gehen. Mehr noch: Er scheint dies sogar mit aller Macht verhindern zu wollen, jedenfalls gibt es dafür Indizien.
Begonnen hat die sich längst zum einem absurden Skandal ausgeweitete Malaise bei der WM 2002 in Stuttgart. Bei der Nominierung des Vierers vom eigenen Verband übers Ohr gehauen fühlten sich Becke und Lehmann damals, infolgedessen lehnten sie einen Start mit den Berlinern Robert Bartko und Guido Fulst, mit denen sie in Sydney noch Olympia-Gold gewonnen hatten, ab, was dazu führte, dass erstmals seit 1962 kein Deutschland-Vierer bei der WM an den Start ging. Becke und Lehmann wurden dafür zunächst für zwei Jahre von der Nationalmannschaft suspendiert, später jedoch begnadigt. Offiziell geschah das laut BDR, um sich wieder „auf sportliche Erfolge konzentrieren zu können“, inoffiziell, so wird gemunkelt, habe der Verband Regressansprüche befürchtet.
Mit Fakten unterfüttert wird solch Szenegeflüster durch die Vorkommnisse nach der Begnadigung. Aufs Sportliche konzentriert wurde sich im BDR nämlich auch danach nur einmal – bei der Olympiasichtung in Frankfurt (Oder) Mitte Februar. Ergebnis: Becke gewann vor Bartko und Lehmann. Noch Fragen? Klar, diese zum Beispiel: Warum schneidet der Verband die beiden dennoch weiterhin und gibt ihnen keine Chance, im Weltcup zu starten und sich dort für WM und Olympia zu empfehlen? Burckhard Bremer, der BDR-Sportdirektor, hat sich als Antwort darauf längst einen Begriff zurechtgelegt: Teamfähigkeit. Bremer sagt: „Jeder Fahrer muss neben der sportlichen Leistung Teamfähigkeit mitbringen.“ Er ergänzt: „Es kann nur einen harmonischen Vierer geben, wenn man sich gegenseitig vertraut.“
Nun wirkt es einerseits ziemlich absurd, ausgerechnet zwei Mannschafts-Olympiasiegern mehr oder weniger direkt vorzuwerfen, sie seien ein Sicherheitsrisiko für ihre Team-Kollegen. „Ich habe mit 30 verschiedenen Partnern im Vierer gewonnen. Es soll also keiner behaupten, dass ich nicht Vierer fahren kann“, sagt denn auch Jens Lehmann, 36 Jahre alt und doppelter Olympiasieger in ebenjener Disziplin. Bremer freilich lässt sich von solcherlei wenig beeindrucken; beim BDR hat man deswegen die Teilnahme an einer Mediation für Becke und Lehmann zur Bedingung gemacht. Beide würden mitmachen,wenn es der BDR nur endlich fertigbrächte, einen Termin dafür zu finden. „Die Angelegenheit ist in der Vorbereitung, ein genaues Datum allerdings steht noch nicht fest“, ließ Bremer die taz gestern wissen, um noch im gleichen Atemzug darauf hinzuweisen, dass Lehmann vor der Mediation auf keinen Fall wieder im Deutschland-Vierer fahren könne.
Norbert Scharf, Lehmanns Rechtsanwalt, wählt die Worte sehr bedacht aus, wenn er die Hinhaltetaktik des Verbandes kommentieren soll. Dann sagt er: „Wir wollen nicht glauben, dass Mediation und Teamfähigkeit letztlich nur dazu dienen, eine Zeitverzögerung zu erzielen.“ Wobei: Natürlich kann man das glauben, es drängt sich ja nahezu auf. Ebenso wie der Gedanke, dass der BDR mit seiner Blockadepolitik gerade mögliche Medaillen bei WM und Olympia leichtfertig verdaddelt, selbst die Qualifikation für die Großereignisse könnte in Gefahr geraten, wie der Weltcup in Mexiko am Wochenende gezeigt hat. Dort kam der Deutschland-Vierer in drittklassiger Besetzung gerade mal auf den zehnten Rang.
Beim Deutschen Sportbund scheint man solcherlei zwischenzeitlich mit Argwohn zu betrachten. „Der DSB hat eine besondere Verantwortung, darauf zu achten, dass öffentliche Gelder nicht in den Wind geblasen werden“, sagt DSB-Sprecher Harald Pieper. Er sagt auch: „Der Vierer ist für uns ein Thema, das es zu überprüfen gilt.“ FRANK KETTERER