Korruption und Kissenlippen

Regisseur Carlos Carreras geißelt mit „Die Versuchung des Padre Amaro“ den Sumpf der mexikanischen Kirche

Nicht immer will Provokation gut begründet sein. Den Gekreuzigten bespucken, die US-Flagge verbrennen, mit Exkrementen sudeln oder Augäpfel zerschlitzen – was soll’s? In Mexiko scheinen aber die Institutionen noch dermaßen intakt zu sein, so dass sich Fundamentalkritik lohnt.

Pater Amaro wird in ein abgelegenes Bergdorf versetzt. Dort soll er dem gebrechlichen Pater Benito zur Hand gehen. Amaro ist noch jung und daher aufrichtig am Lindern von Armutsnot interessiert. Aber in Benitos Kirchengemeinde läuft es nicht rund. Für den Neubau des Krankenhauses scheinen Mafiagelder in erheblicher Höhe geflossen zu sein, Benito also die Rolle eines Geldwäschers im Namen des Herrn zu spielen. Das behauptet jedenfalls Pater Natalio, den die Kritik am System schon die Stellung gekostet hat und der sich nun in den Bergen auf christliche Werte besinnt. Benito, ein Mafiapadre? Das will Amaro nicht glauben. Doch nicht nur das. Benito lebt mit seiner Haushaltshilfe Sanjuanera seit ewigen Zeiten im Konkubinat, obwohl er in der Öffentlichkeit vehement das Zölibat verteidigt.

Sei es, dass das schlechte Beispiel des Vorgesetzten erzieht oder die Anmachversuche streng gläubiger Jungfrauen auch im Kleriker den Jungbullen wecken. Gael García Bernal („Y Tu Mamá También“) scheint als Amaro mit seiner frischen Haut, Samtblick und kissenartigen Lippen von Anfang an zu schade für das Zölibat zu sein. Aber so unausweichlich der Weg des Priesters ins Laster auch sein mag, so erstaunlich ist doch die Flexibilität seines Charakters, die bald ans Licht tritt. Nachdem Amaro bekommen hat, wonach er nicht streben durfte, verhält er sich wie irgendein in die Enge getriebenes Arschloch. Liebe ist schön, solange die Kosten im Rahmen bleiben. Als Amelia aber schwanger wird, reagiert der eingangs so Sanfte sauer und verletzend – man ahnt, dass der Erotikpater auch das Zeug zum Korruptionspater hat. Zuvor schleift er die junge Frau in die Abtreibungsklinik, wo sie an den Folgen des schlampigen Eingriffs stirbt.

Regisseur Carlos Carreras mag bei „Die Versuchung des Padre Amaro“ mit seinem Blick schon während der Planung weit über den Horizont des nationalen Kinomarkts hinausgeschweift zu sein. Jedenfalls scheint dieser Fall von „New Mexican Cinema“ mit einem Kino der kurzen Wege und der erzwungenen Nähe kein Problem zu haben – den Gefühlswelten der Daily Soap ist er erstaunlich nahe.

Wenn Religiosität und der Ruf kirchlicher Würdenträger so leichtfertig und boulevardtragödienhaft verspielt werden können, war es um sie wahrscheinlich schon im Vorfeld nicht gut bestellt. Dann kann aber auch die Fallhöhe für die Provokation nicht allzu hoch gewesen sein. Man soll über Luis Buñuel sagen, was man will: Aber goldgefönt waren seine Filme gerade nicht.

MANFRED HERMES

„Die Versuchung des Padre Amaro“. Regie: Carlos Carrera. Mit Gael García Bernal, Sancho Garcia, Ana Claudia Talancón u. a., Mexiko 2002, 118 Min.