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Archiv-Artikel

Die Schlange im Schatten des Adlers

Magie der reinen Bewegung: Spätestens seit dem ersten Teil der „Matrix“-Trilogie gehört Kampfkunst zum Hollywoodkino. Unter Anleitung erfahrener Martial-Arts-Choreografen wie Yuen Wo-Ping oder Yuen Cheung-Yan üben die Schauspieler Kung-Fu, die digitale Bildbearbeitung tut ein Übriges

Mit der spirituellen Dimension ist es im Hollywoodfilm nicht weit her

von ANDREAS BUSCHE

Drew Barrymore und Cameron Diaz können es. Keanu Reeves und Ben Affleck auch. David Caine Carradine sowieso, seit den 70ern schon. Wesley Snipes kann es sogar verdammt gut und Uma Thurman demnächst auch. Seit einiger Zeit gehört es in Hollywood zum guten Ton, es zu können, besonders wenn man sein Geld mit Actionfilmen verdient. Die Rede ist von Kung-Fu, der traditionellen Form des chinesischen Wushu: Kampfkunst in höchster Vollendung.

Wenn nächste Woche mit „The Matrix Reloaded“ der zweite Teil der „Matrix“-Trilogie der Wachowski-Brüder in die Kinos kommt, findet ein Phänomen seinen vorläufigen Höhepunkt, das vor vier Jahren mit „The Matrix“ erstmals breitenwirksam rezipiert wurde und seither mit zwei Folgen von „X- Men“, „Drei Engel für Charlie“, den beiden „Blade“-Filmen oder mit „Daredevil“ wildeste Formen angenommen hat. Martial-Arts-Techniken gehören heute im gepflegten Action-Unterhaltungsprogramm – weit ab von Steven „Schlag mich tot“ Seagal oder Jean-Claude Van Damme – zum Repertoire der Gerechtigkeitskämpfer. Es sieht sportlich aus, ist ästhetischer, als seinen Gegner dumm zu prügeln, und verfügt zudem über eine Aura des Majestätischen, Geheimnisvollen. Mehr noch: Die Kampfsequenzen aus „The Matrix“ oder Ang Lees Heldenepos „Tiger & Dragon“ rühren, so unterschiedlich der Ton der beiden Filme auch sein mag, an ein altes Versprechen des Kinos. Seit dem Zauber früher Lumière-Filme (Lokomotiven, die scheinbar direkt von der Kinoleinwand in den Zuschauerraum rollen et cetera) ist man diesem Versprechen nie mehr so nahe gekommen: der Magie der reinen Bewegung, entbunden endlich von aller Gravitation und Logik. Eine vollkommene Einheit von Zeit und Raum bei gleichzeitiger Aufhebung der natürlichen Kontinuität von Bewegungsabläufen.

Die Arbeit an dieser gewaltigen Illusion wird an der Schwelle zweier Welten vollbracht, die mit künstlerischer Meisterschaft zusammengeführt wurden: der Tradition eines fast fünfzig Jahre alten chinesischen Filmhandwerks und der neuen amerikanischen Digitaltechnik namens CGI (Computer Generated Images). Denn wenn sich Charlies Engel und Crispin Glover einen Zweikampf entgegen allen Regeln der Schwerkraft liefern oder Keanu Reeves und Larry Fishburne im Dojo die Unmöglichkeiten der Matrix austesten, dann hat das nur wenig mit dem Gefühl der Entfremdungen zu tun, das Ewan McGregor und Samuel L. Jackson im Blue Room bei den Dreharbeiten der volldigitalisierten „Star Wars“-Filme erfahren haben. Es ist vielmehr das Ergebnis harten, monatelangen Trainings und einer ausgefeilten Choreografie.

In fast allen oben genannten Fällen steckt ein einziger Name hinter dieser bahnbrechenden Leistung, eine kleine Dynastie sogar: der Yuen-Clan. Kaum ein Name hat das Kino Hongkongs seit den späten 50er-Jahren mehr geprägt. Die realistischen, der alten Wushu-Tradition verpflichteten Kung-Fu-Choreografien und die nahezu perfekte Drahtseiltechnik Yuen Wo-Pings („Matrix“-Trilogie, „Tiger & Dragon“, demnächst Tarantinos „Kill Bill“), mit deren Hilfe der Anschein grenzenloser Beweglichkeit im Raum erzeugt wird, begründeten im asiatischen Kino eine ganze Schule, die selbst inzwischen einer eigenen Tradition verpflichtet ist. Die Tradition alter Wuxia Pians, des Martial-Arts-Dramas beziehungsweise der Martial-Arts-Romanze, bildet das kantonesische Urgenre schlechthin, und darauf berufen sich die Wachowski-Brüder, Quentin Tarantino und – wenn auch aus etwas anderen Gründen – Ang Lee, die allesamt in ihren Filmen die Erinnerung an fliegende Schwertkämpfer oder sich anmutig in die Höhe schraubende Amazonen wachrufen. Die Shaw-Brüder („Die 36 Kammern der Shaolin“, „Das Schwert des Gelben Tigers“) haben die Tradition der Wuxia Anfang der 70er-Jahre erstmals dem Westen näher gebracht, und in ihren Filmen hat sich Yuen Wo-Ping in den 70er-Jahren auch seine ersten Sporen verdient.

Zwei grundsätzlich verschiedene Sichtweisen auf den klassischen Wuxia Pian lassen sich in den Äußerungen von Vertretern der westlichen, postmodernen Popwelt und einem Altmeister wie Yuen Wo-Ping erkennen, und doch kommen alle – wenn auch über Umwege – zum selben Resultat. Das Comichafte (die Überspitzung) und das Melodramatische (das Pathos) – oder noch etwas grundsätzlicher: Bewegung und Emotion sind es, was das kantonesische Martial-Arts-Genre seit jeher ausgemacht hat. Der Wuxia Pian ist der Kleine-Leute-Film par excellence, er bietet Unterhaltung für alle Alters- und Bildungsstufen und ist zugleich von einer fantastischen technischen und spiritistischen Elaboriertheit, wie es die uralten Lehren der Kampfkunstmeister überliefert haben. Tarantino und seine Kollegen haben diese Erfahrung mit einigen Jahren Verzögerung in den amerikanischen Grindhouse Theatres, heruntergekommenen Mitternachtskinos, gemacht.

Yuen Wo-Ping gehört in Hongkong zu den letzten Filmschaffenden, die in eine solche Tradition noch hineingeboren wurden. Sein Vater Yuen Siu-Tin, der später unter der Regie seines Sohns neben Jackie Chan in „Drunken Master“ spielte und damit Kultstatus erlangte, hatte schon in den 30er-Jahren erste Engagements als Kampfkunstchoreograf in einigen Pekingopern, aber auch in der Filmindustrie. Er besorgte Yuen Wo-Ping und seinen Brüdern, unter anderem Yuen Cheung-Yan, der die Kampfsequenzen in „Drei Engel für Charlie“ und „Daredevil“ choreografiert hat, in den 60er-Jahren kleine Statistenrollen – in denen sie meistens als Erste starben. Anfang der 70er-Jahre kam Yuen Wo-Ping bei den Shaws unter, wo er zum ersten Mal für eine Kampfchoreografie verantwortlich zeichnete: 1971 für den Actionstreifen „Mad Killer“. 1978 machte er Jackie Chan mit einem, nun ja, Schlag berühmt, als er mit „Drunken Master“ und „Die Schlange im Schatten des Adlers“ das Genre der Kung-Fu-Komödie etablierte.

Den Unterschied zur Arbeit in Hollywood hat Yuen Wo-Ping in Interviews oft erklärt. Keanu Reeves oder Drew Barrymore bringen nicht denselben Background in die Filme ein wie in Hongkong Jackie Chan, Jet Li oder selbst nicht eigens kampfkunsttrainierte Schauspieler und Schauspielerinnen wie Ziyi Zhang („Tiger & Dragon“) oder Tony Leung. Die amerikanischen Schauspieler mussten sich mit den Yuen-Brüdern einem mindestens viermonatigen Training sowohl für den bewaffneten Nahkampf als auch für den Umgang mit der ungewohnten Seiltechnik unterziehen, bevor überhaupt die erste Szene von „The Matrix“ gedreht werden konnte. Ein anderer Meister der Drahtseiltechnik, Ching Siu Tung, Regisseur von „A Chinese Ghost Story“ und den ersten „Swordsman“-Filmen, die Anfang der 90er-Jahre die Renaissance der fliegenden Schwertkämpfer einleiteten, hat nach seiner Erfahrung mit „Superman“ und Zhang Yimous „Hero“ erklärt, dass es wichtig sei, für jeden Schauspielern ein Repertoire an Techniken und Bewegungen zu entwickeln, das der jeweiligen körperlichen Konstitution entspricht.

Mit der spirituellen Dimension, der Arbeit an der Technik und der Verinnerlichung der Tradition ist es im Hollywoodfilm nicht weit her. In „The Matrix“ wird Keanu Reeves der ganze Katalog an ostasiatischen Kampftechniken direkt ins Gehirn gedownloaded. In „Drei Engel für Charlie“ erklärt Drew Barrymore ihren Gegnern zwar noch kurz ihre Techniken, bevor sie sie zur Anwendung bringt, aber dies ist nicht mehr als eine ironische Hommage an den Kung-Fu-Klassiker „Die 36 Kammern der Shaolin“ – sozusagen der Entwicklungsroman unter den populären Kung-Fu-Filmen. Die Kammerphilosophie der Verfeinerung spielt in Hollywood dafür umso mehr im Vorbereitungstraining eine Rolle. Yuen Wo-Ping legt Wert darauf, dass zum Beispiel die Fußhaltung bei Tritten aus Respekt vor den alten Meistern exakt ausgeführt wird. Jede Begegnung erhält hier eine ureigene Bedeutung.

Die Kampfkunst des Yuen-Clans ist der alten Wushu-Tradition verpflichtet

Die Hongkong-Experten versuchen, ihren Hollywood-Schützlingen zumindest ein Minimum an Shaolin-Disziplin einzutrichtern. Yuen Wo-Pings Bruder Yuen Cheung-Yan hat in einem Interview zu den Dreharbeiten von „Drei Engel für Charlie“ erzählt, dass er beim Training mit seinen Schauspielern eine Philosophie vertritt, die er Eat the Bitterness nennt. Nur wer an seine körperlichen Grenzen geht, kann zu so etwas wie einer transzendierenden Erfahrung finden. Wenigstens für den Zeitraum der Dreharbeiten.

Was unter Puristen mittlerweile am häufigsten kritisiert wird, ist die Verwässerung durch High-End-Digitaltechnik. Das gilt sowohl für in der Vergangenheit angesiedelte Filme wie „Tiger & Dragon“ und „Hero“ als auch für Hollywoods Action-Blockbuster. Yuen Wo-Ping ist kein großer Fan der computergenerierten Bilder, aber er gibt zu, dass sie die Möglichkeiten seiner Choreografien ins fast Unvorstellbare gesteigert haben; andererseits mache gerade der handwerkliche Teil seiner Arbeit erst den Realismus der Kampfsequenzen aus.

Wenn Michelle Yeoh und Ziyi Zhang in „Tiger & Dragon“ über Hausdächer, Wände und Wasser laufen, verlieren ihre Bewegungen nie den realistischen Touch, weil Yuen komplette Bewegungsabläufe und nicht nur montierte Szenenabfolgen zeigt, wie es zum Beispiel sein Kollege Corey Yuen perfektioniert hat, der als Action-Choreograf unter anderem für „X-Men“, „The Transporter“ und „Romeo must die“ zuständig war.

Ang Lee bezeichnete Wushu nach den Dreharbeiten von „Tiger & Dragon“ als eine chinesische Form von Musik. Diesem Ideal nahe zu kommen, hat Yuen Wo-Ping sein Leben verschrieben.