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Archiv-Artikel

Zweckoptimismus in der Reisebranche

Trotz der Anschläge von Madrid rechnen die Touristikkonzerne zum ersten Mal seit drei Jahren mit einem leichten Wachstum. Bislang gibt es keine Stornierungen von Spanien-Reisen. Die ITB, größte Reisemesse der Welt, geht heute in Berlin zu Ende

VON STEFFEN GRIMBERG

Trotz der Anschläge von Madrid und neuer Terrordrohungen setzt die Reisebranche 2004 weiter auf Business as usual und hofft auf den Aufschwung im Touristik-Geschäft. Die Trauer um die 200 Toten und das Schicksal der rund 1.500 Verletzten überschattete zwar die heute zu Ende gehende Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin. Doch mit größeren Auswirkungen auf die laufende Saison rechnet offiziell keiner der großen Reiseveranstalter.

„Bis dato gibt es so gut wie keine Stornierungswünsche“, sagt Anja Braun von der TUI, die noch bis zum 21. März kostenlose Umbuchungen für Reisen in die spanische Hauptstadt anbietet. Und das werde wohl auch so bleiben. Der Rest des Spanien-Geschäfts ist nach Einschätzung des mit 20 Milliarden Euro Umsatz größten europäischen Reisekonzerns gar nicht betroffen. Mit einem Anteil von gut 40 Prozent ist das Land eines der wichtigsten TUI-Urlaubsziele. Trotz demonstrativen Optimismus bleibt Verunsicherung – unter anderem abzulesen am ausdrücklichen Lob, mit dem Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) überschüttet wurde, weil er seinen Osterurlaub wie geplant in Spanien verbringen wird.

Insgesamt kommen rund 27 Prozent aller ausländischen Touristen in Spanien aus Deutschland, ihr Ziel sind aber die Inseln und Küstenregionen. „Dies ist nicht vergleichbar mit Djerba, Mombasa oder Bali, wo Touristen direktes Ziel der Attentäter waren“, so Sibylle Zeuch vom Deutschen Reisebüro- und Reiseveranstalter-Verband DRV.

Die Branche setzt auf ihre Erfahrungen nach den Anschlägen auf Synagogen und eine Bank in Istanbul vom November 2003, die laut Zeuch „ebenfalls keine nachhaltigen Auswirkungen auf die Reiselust gehabt“ hätten. Bei der TUI liegen die Türkei-Buchungen derzeit sogar „gut über dem Vorjahr. Das Land liegt im Trend“, so Sprecherin Braun. Lediglich bei den Städtereisen könne es zu leichten Einbußen kommen, doch dieses Segment macht bei den großen Anbietern nur einen geringen Teil des Umsatzes aus.

Dennoch hatten viele börsennotierte Reiseveranstalter und Fluglinien wie die Lufthansa nach den Anschlägen kräftige Kursverluste einstecken müssen. Auch gestern gaben die Kurse bis zum Nachmittag um knapp zwei Prozent (Lufthansa) und 2,4 Prozent (TUI) nach.

Eine neuerliche Stornierungs-Saison kann die noch immer unter den Spätfolgen der Anschläge auf das World Trade Center leidende Branche nicht gebrauchen. Nach dem 11. September 2001 waren die Buchungen um bis zu 40 Prozent eingebrochen, viele kleinere Reiseunternehmen mussten aufgeben. Nach drei mageren Jahren hat sich jetzt ein zarter Aufschwung angekündigt, auf den die Veranstalter weiter hartnäckig setzen. TUI-Chef Michael Frenzel rechnet für den europäischen Reisemarkt 2004 mit durchschnittlich fünf Prozent Wachstum. TUI habe im Wintergeschäft sogar 6,1 Prozent beim Umsatz und 5,4 Prozent bei den Gästezahlen zugelegt, sagte Frenzel bei der Präsentation der aktuellen Buchungszahlen. Nach schwachem Beginn zeichne sich nun auch für den Sommer eine Trendwende ab. Dabei setzten immer mehr Urlauber auf Rabatte. Nur noch rund 40 Prozent aller Pauschalreisen werden zum vollen Preis gebucht.

Nach einer Branchen-Analyse der Credit Suisse brachten aber auch solche Billigangebote bisher nicht die gewünschten Impulse. Der Reisende habe sich auch ohne Terror-Faktor in den letzten Jahren „markant verändert: Er ist preisbewusster geworden. Aber auch anspruchsvoller. Der Trend geht in Richtung Individualreisen.“