: Freibrief für die US-Umweltsünder in Thule
US-Militär hinterlässt auf grönländischem Boden eine Giftmüllkippe. Bezahlen will Washington dafür nicht
KOPENHAGEN taz ■ Die Thule-Basis im nördlichen Grönland ist eine der wichtigsten Militärbasen der USA. Seit mehr als 50 Jahren halten hier Radaranlagen Ausschau nach Raketen und Flugzeugen und lauschen den Telefonverkehr ab. Als die USA im Februar einen Teil des Gebiets an Dänemark, das hier die Oberhoheit hat, zurückgaben, fanden dänische RegierungsvertreterInnen riesige Giftmülldeponien bis direkt ans Meer vor. „Hier muss man damit rechnen, dass umweltgefährliche Stoffe ins Meer ausgewaschen werden“, notierte die dänische Umweltbehörde. Umweltminister Hans Schmidt bestätigt, dass man ganz generell „Spuren einer Einwirkung des marinen Milieus durch Aktivitäten in Thule“ finde.
Auf 4.000 Seiten listete das US-Militär von 1995 bis 2000 selbst auf, was in den letzten Jahrzehnten hier abgekippt wurde: Baumaterial, Ölrückstände, Fahrzeugteile, Quecksilber, Kadmium und PCB. „Die Risikowerte der US-Umweltbehörde für menschliche Gesundheit“ würden überschritten, heißt es dort. Dabei gibt die US-Bestandsaufnahme offenbar ein geschöntes Bild wider. Das dänische Umweltministerium spricht von „noch unklaren“ Risikoanalysen, die USA hätten Analysemethoden angewandt, die „nicht zu wissenschaftlich haltbaren Resultaten“ führen. Dänische Messungen zeigen eine Überschreitung der Grenzwerte zumindest bei Blei, Kadmium und Quecksilber. Die gesamte zurückgegebene Halbinsel müsste danach saniert werden. Die Kosten werden auf rund 100 Millionen Dollar geschätzt. Die geplante Wiederansiedlung von Eskimos ist in weite Ferne gerückt.
Seit zwei Jahren war der Skandal in Kopenhagen bekannt. Doch wurde weder die grönländische Selbstverwaltungsregierung noch die Öffentlichkeit informiert. Nur aus Versehen händigte ein Beamter des Verteidigungsministeriums Greenpeace kürzlich das brisante Papier aus.
Die Geheimnistuerei hat ihre Gründe. Die Thule-Basis, die nach dem Ende des Kalten Krieges etwas ins Abseits des Interesses des US-Militärs gerutscht war, ist wieder hochaktuell: Hier soll einer der zentralen Leitstellen für das geplante Raketenabwehrsystem der USA errichtet werden. Die Enthüllungen über die US-Umweltsünden haben nun dazu geführt, dass viele PolitikerInnen und Teile der grönländischen Bevölkerung das Basisabkommen mit den USA grundsätzlich in Frage stellen. „Wir müssen den Kurs total umlegen“, verkündete der Vorsitzende der Selbstverwaltung, Hans Enoksen: „Die Umwelt muss absolute Priorität haben und das werden wir in den weiteren Verhandlungen mit den USA und Dänemark deutlich machen.“ Abgeordnete des grönländischen Parlaments, so Lars Emil Johansen, forderten von den USA „ihren Dreck aufzuräumen, gleich was es kostet“. Sie kritisierten auch die Regierung in Kopenhagen. Diese hatte nämlich mit Washington ein Abkommen geschlossen, wonach Dänemark das fragliche Gebiet „selbst wenn die Bestimmungen anderer Abkommen dem widersprechen“, in dem Zustand zurücknehme „in dem es ist“ und „jegliche Verantwortung für mögliche ökologisch notwendige Sanierungsarbeiten“ übernimmt. Washington sollte nur für Umweltschäden verantwortlich sein, die unmittelbar für Menschen gesundheitsgefährdend seien. Damit ist nach einem Kommentar aus dem dänischen Umweltministerium gemeint, „wenn die Füsse wegätzen, sobald man das Gelände betritt“. REINHARD WOLFF