: Nach Afrika mit al-Qaida
von DOMINIC JOHNSON
In Camp Lemonier war früher die französische Fremdenlegion stationiert. Jetzt entsteht in dem verlassenen Militärlager im ostafrikanischen Kleinstaat Dschibuti die erste US-Militärbasis in Afrika. Wenn der Transfer von Soldaten und Material vom Kriegsschiff „Mount Whitney“ auf das Festland am kommenden Wochenende abgeschlossen ist, wird von Camp Lemonier aus Krieg gegen den Terror geführt. 1.800 Mann, darunter Spezialkommandos, sollen für Operationen in Äthiopien, Dschibuti, Eritrea, Jemen, Kenia, Somalia und Sudan bereitstehen.
Das soll kein Einzelfall bleiben. Wie der Nato-Oberkommandierende für Europa, US-General James Jones, Anfang Mai ankündigte, wird die Mittelmeerflotte der USA zukünftig die Hälfte ihrer Zeit „die Küste Westafrikas herunterfahren“. Ab Oktober könnte eine 2.000 bis 3.000 Mann starke Nato-Eingreiftruppe für Westafrika gebildet werden.
Allmählich setzt sich auswärtiges Militär wieder in Afrika fest. Die Mission: Terrorbekämpfung. Somalia gilt als Rückzugsgebiet für al-Qaida: Erst am Mittwoch warnte Kenias Regierung, ein führender Al-Qaida-Kämpfer mit Basis in Somalias Hauptstadt Mogadischu sei möglicherweise in Kenia aktiv und bereite Anschläge vor. In Westafrika halten manche Beobachter die Regierung Liberias für einen Geschäftspartner al-Qaidas, die sich jahrelang aus dem Diamantenschmuggel finanziert habe. Die Befreiung europäischer Geiseln in Algerien hat ein weiteres Schlaglicht auf mutmaßliche Verbündete al-Qaidas in Afrika geworfen.
Mokhtar Belmokhtar, nach amtlicher algerischer Lesart Mitverantwortlicher für die Entführungen und zugleich „Schmugglerkönig“ der Sahara, ist nicht nur Mitglied der radikal-islamistischen GSPC (Salafistische Gruppen für Predigt und Kampf), die die Touristen in ihrer Gewalt gehabt haben soll. Er soll auch Waffenschmuggel mit Mali und Mauretanien betreiben. Nach einer Analyse des US-Thinktanks „Stratfor“ gilt die Sahara-Region als Sicherheitsrisiko, weil die dortigen Regierungen ihre Grenzen nicht kontrollierten und bewaffnete Gruppen leicht untertauchen könnten.
In allen Sahel-Ländern bis hinunter nach Nigeria gibt es starke Islamistenbewegungen, die eine Annäherung an die USA vehement ablehnen. Dieser Teil der Welt, so der kenianische Terrorismusexperte Mustafa Hassouna, werde von den USA als kommende Bedrohung angesehen – und „weil die Region seit vier Jahrzehnten von Libyen dominiert wird, dürften die USA es dort schwer haben“. Mit Algerien nahm Washington Ende 2002 die militärische Zusammenarbeit wieder auf, und das Land gilt inzwischen als einer der wichtigsten Partner der Nato in Afrika.
Manche Beobachter halten neben dem libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi den Präsidenten von Liberia, Charles Taylor, für den Hauptfeind. Seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 haben die Washington Post und die der britischen Regierung nahe stehende britische NGO „Global Witness“ mehrfach dargelegt, dass al-Qaida zumindest zeitweilig mit Taylor zusammenarbeitete, der zugleich die treibende Kraft bei der Destabilisierung anderer Länder Westafrikas sei. Schon vor Jahren wiesen UN-Experten auch auf die Rolle von Burkina Faso, dessen Regierung in den 90er-Jahren Taylor unterstützte, beim westafrikanischen Rohstoff- und Waffenschmuggel hin. „Al-Qaida“, so ein im April veröffentlichter Bericht von Global Witness, „hat möglicherweise hunderte Millionen Dollar gewaschen, indem es über liberianische Regierungsbeamte Diamanten von Rebellen kaufte.“ Der Bericht zeichnet nach, wie schiitische Emigranten aus Libanon, die seit Jahrzehnten den grenzüberschreitenden Großhandel Westafrikas dominieren, in den 80er-Jahren zur Finanzierung der libanesischen Hisbollah herangezogen wurden. Daraus seien Verbindungen entstanden, die auch von anderen Islamisten genutzt werden konnten. Diesen habe Taylor als Präsident Entfaltungsmöglichkeiten geboten: „Liberia und Sierra Leone sind Länder mit auf Schwarzmarkt gegründeten politischen Ökonomien, die al-Qaida optimale Operationsbedingungen geboten haben.“
Selbst Global Witness muss zugeben, dass diese Verbindungen gegen Ende 2001 abbrechen, weist aber auf Taylors Unterstützung von Rebellen in der Elfenbeinküste hin und schließt von der angeblichen Terror-Connection Taylors auf dessen Verantwortlichkeit für Westafrikas Kriege. Seit Mai 2001 steht Liberia unter UN-Sanktionen, die dem Land den Diamantenexport verbieten und seiner Regierung Auslandsreisen. Im März forderte Global Witness den UN-Sicherheitsrat auf, auch Liberias Hauptexportgut Tropenholz unter Embargo zu stellen und das Land mit Anti-Terror-Maßnahmen wie die weltweite Überwachung und eventuelle Einfrierung sämtlicher Konten mit Verbindungen nach Liberia zu belegen.
Die Gefahr ist, dass mit einer solchen Analyse die Eigendynamik der westafrikanischen Konflikte übersehen wird. Das Liberia-Sanktionskomitee der UNO wendet sich in seinem jüngsten Bericht vom 24. April gegen die Verteufelung Taylors: „Die Grundlage für die Sanktionen gegen Liberia muss neu bewertet werden, weil Gewalt und Konflikt sich durch die Region verbreiten und nicht nur von liberianischen Kräften ausgehen“, so die UN-Experten. Die internationale Krisenanalytikergruppe ICG (International Crisis Group) kam am 30. April in einem Liberia-Bericht zu dem Schluss, nötig sei eine Gesamtüberwachung westafrikanischer Rohstoffgeschäfte: Das Mandat des Liberia-Sanktionskomitees sollte auf Guinea, die Elfenbeinküste und Burkina Faso ausgeweitet werden.
Aber als der UN-Sicherheitsrat am 7. Mai die Sanktionen gegen Liberia verlängerte, entsprach er der Linie von Global Witness. Liberias Tropenholzexport ist ab 7. Juli verboten. Gegen letztere Maßnahme, die Liberias Wirtschaft den Todesstoß versetzen dürfte, hatte sich Frankreich jahrelang gesperrt.
Eine direkte Militäraktion zum Sturz Taylors ist zunächst nicht in Sicht. Dem missliebigen Präsidenten wird langsam die Luft abgeschnürt. Guineas Armee, von den USA ausgebildet, unterstützt Rebellen, die über die Hälfte Liberias kontrollieren. Zugleich unternimmt eine internationale Kontaktgruppe Friedensbemühungen. Die Hoffnung ist, dass Taylor zur nächsten Präsidentschaftswahl im kommenden Oktober nicht mehr antritt.
Allerdings gibt es keinen Grund, warum Westafrikas Kriege nach einem Abtritt Taylors aufhören sollten. Eine Fixierung auf Liberia als Störenfried in Westafrika dürfte auf lange Sicht genauso wenig bringen wie die frühere Fixierung auf Somalia am Horn von Afrika.
Ende 2001, nach dem Sturz der Taliban in Afghanistan, galt Somalia als mögliches nächstes Kriegsziel der USA. Das Land, das seit 1991 keine Zentralregierung mehr hat und wo 1993–95 internationale Eingreiftruppen von Milizen zum Rückzug gezwungen wurden, stand als Rückzugsgebiet für die Anhänger Ussama Bin Ladens im Verdacht. Die USA dachten laut über eine Militärintervention nach und legten zeitweise das informelle Geldüberweisungssystem lahm, mit dem somalische Emigranten aus aller Welt Somalias Wirtschaft alimentieren. Ein internationaler Marineverband überwacht die Schiffsrouten zwischen Asien und Europa, die zwischen Somalia und Jemen hindurch durch die Meerenge bei Dschibuti ins Rote Meer verlaufen.
Gebracht hat das alles nichts. Im vergangenen November reisten Al-Qaida-Aktivisten aus Somalia nach Kenia und verübten Anschläge auf Touristenziele. „Wegen seines Mangels an einer effektiven Zentralregierung und allgemeiner Gesetzlosigkeit könnte Somalia ein wichtiges Transitzentrum für kleine Terrorgruppen und terroristische Materialien werden“, bilanzieren die für die Überwachung des seit 1992 geltenden Waffenembargos gegen Somalia zuständigen UN-Experten in ihrem jüngsten Bericht vom 25. März.
Gegen Somalia setzen die USA auf ihren regionalen Verbündeten Äthiopien, ähnlich wie Guinea gegen Liberia. Die äthiopische Armee unterstützt einige somalische Warlords und greift regelmäßig in innersomalische Machtkämpfe ein. Gleichzeitig arbeitet die UNO an einer Rückkehr in das Land, wo 1992–95 die ambitionierteste Militärintervention ihrer Geschichte kläglich scheiterte.
Die UN-Experten für Somalia schlagen in ihrem jüngsten Bericht UN-„Regulierungsbehörden“ vor, die in Abwesenheit eines somalischen Staatswesens bei der Überwachung des Luftraums und der Territorialgewässer kompensieren könnten. In Bereichen wie Zollinspektionen, Hafensicherheit, Seerettung und Umweltschutz sollte die UNO „Zusammenarbeit mit entstehenden lokalen somalischen Verwaltungen“ verfolgen. Weitere Optionen werden bei den laufenden Somalia-Friedensgesprächen in Kenia diskutiert. Auf dem Tisch liegt ein Zeitplan, wonach spätestens am 15. Juni eine Übergangsregierung aus allen Fraktionen eingesetzt werden soll, der eine UN-Truppe zur Seite stehe. Die UN-Soldaten sollten fünf Jahre lang bis zu freien Wahlen Somalias Sicherheit garantieren.
Das ähnelt dem Friedensplan für die Demokratische Republik Kongo, die ebenfalls in Warlordgebiete zerfallen ist und deren unkontrollierte Rohstoffgeschäfte ebenfalls von Global Witness als Finanzierungsmöglichkeit für al-Qaida gewertet werden. Im Kongo denkt die UNO über eine schnelle Eingreiftruppe außerhalb ihrer eigenen Mission nach. Im Falle Somalia steht die schon, dank der US-Amerikaner im Nachbarland Dschibuti und der ohnehin dort stationierten 2.500 Soldaten aus Frankreich; in Westafrika könnten die französischen Soldaten in der Elfenbeinküste und die in der Planung begriffene Nato-Eingreiftruppe eine ähnliche Rolle bei zukünftigen Friedensprozessen spielen.
So zwingt die Angst vor al-Qaida in Afrika die Großmächte zur Rückkehr in einen Kontinent, dessen Kriege sie vor einigen Jahren noch abgeschrieben hatten. Vielleicht ergibt die falsche Analyse, Afrikas Staatszerfall sei auf Terroristen zurückzuführen, ja die richtige Einsicht, man müsse dagegen etwas tun.