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Archiv-Artikel

Die blinden Flecken übertünchen

CDU und Grüne wollen den Verfassungsschutz zentralisieren. Die Polizei wünscht eine gemeinsame Nutzung der Daten und die SPD warnt vor Hektik

AUS BERLIN ANDREAS SPANNBAUER

Im Visier der Geheimdienste stand der Student Mounir al-Motassadeq, wohnhaft in Hamburg, schon lange. Seit 1999 überwachte das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz den Marrokaner, der später einer der Hauptverdächtigen im Zusammenhang mit den Anschlägen auf das World Trade Center werden sollte. Doch den hanseatischen Verfassungsschutz, qua Amtssitz für Motassadeq zuständig, erreichte diese Information erst Jahre später. Die Geheimdienstler an der Elbe erfuhren von der Arbeit der Kölner Kollegen erst im Januar 2003 – aus der Presse, als die Zielperson längst wegen Beihilfe zum Massenmord auf der Anklagebank saß.

Solche Pannen, bei denen einzelne Verfassungsschutzbehörden nichts ahnend nebeneinander her arbeiten, sollen in Zukunft nicht mehr vorkommen. Nach den Terroranschlägen von Madrid wollen Politiker aus allen politischen Lagern die Struktur der Geheimdienste neu ordnen. Unter dem Eindruck des blutigen Massakers in der spanischen Hauptstadt steigen die Chancen für eine seit langem ins Auge gefasste Reform der Verfassungsschutzämter. Die Lehre aus Madrid: Weiche Ziele wie Bahnhöfe können nicht umfassend bewacht werden – um so wichtiger wird es, mögliche Anschläge bereits im Vorfeld zu verhindern, klassische Geheimdienstaufgaben wie die Überwachung spielen hierbei eine herausragende Rolle.

Am radikalsten drängen daher, fast unisono, die Grünen und die CDU auf eine Reform des Verfassungsschutzes. So will der nordrhein-westfälische CDU-Landeschef Jürgen Rüttgers die Landesämter für Verfassungsschutz abschaffen. Künftig soll es demnach nur noch ein Bundesamt für Verfassungsschutz mit nachgeordneten Länderdependancen geben, bestätigte ein Sprecher des CDU-Landeschefs der taz.

Auch die Grünen wollen das Bundesamt für Verfassungsschutz stärken. „Bei Terrorismus und überregionalem Extremismus sollte die Kompetenz auf Bundesbene liegen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, im Gespräch mit der taz. „Man könnte auf die eigenständigen Landesämter auch verzichten“, freute sich Beck darüber, dass die CDU nun einen alten Vorschlag der Grünen aufgreife.

Durch eine Neuordnung könnten „Chaos und Effizienzverlust“, wie sie Beck durch die bisherige Struktur beispielsweise beim NPD-Verbotsverfahren verursacht sieht, beseitigt werden. Bisher arbeiten die 16 unabhängigen Landesämter nebeneinander her; sie sind dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht unterstellt. Besonders in den kleineren Bundesländern sieht Beck in den Verfassungsschutzämtern nicht mehr als „bessere Zettelausschnittsdienste“. Dies führe dazu, dass es „in bestimmten Bereichen blinde Flecken“ gebe. Auch auf Bundesebene müsse man darüber „nachdenken, ob wir wirklich drei Dienste brauchen oder ob nicht zwei reichen“.

So sei eine Zusammenlegung von Verfassungsschutz und Militärischem Abschirmdienst (MAD) denkbar; der Bundesnachrichtendienst (BND) solle dagegen als eigenständige Einheit erhalten bleiben. Bedenken gegen eine Zentralisierung der Geheimdienste und ihren möglichen Missbrauch hegt Beck nicht: „Es ist kein Demokratiegewinn, wenn wir unvollständige Lageberichte haben.“ In der rot-grünen Koalition wird nach Angaben der Grünen-Fraktionschefin Krista Sager bereits darüber diskutiert, wie die Geheimdienste organisiert sein müssen, damit die Behörden Informationen in Zukunft miteinander abgleichen – und damit vielleicht schon eher ein besseres Bild von Terroraktivitäten bekommen. In der Koalitionsvereinbarung ist die Reform der Geheimdienste ohnehin vorgesehen.

Doch noch gibt es in der SPD Bedenken dagegen, die Geheimdienste völlig neu zu strukturieren. „Wir haben in Deutschland eine bewährte Sicherheitsarchitektur“, warnte der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz gegenüber der taz vor „Hektik“. Wiefelspütz lehnt die Zentralisierung des Verfassungsschutzes ab. Er hält es lediglich für sinnvoll, dass das Bundesamt einzelne Aufgaben an sich zieht – etwa das Beobachten von weltweiten Entwicklungen. „Es ist bundesdeutsche Tradition, den Verfassungsschutz dezentral zu organisieren.“ Dafür würden sowohl die größere Effizienz von dezentralen Behörden als auch die Erfahrungen der deutschen Vergangenheit sprechen. Wiefelspütz lehnt vor diesem Hintergrund auch ein „deutsches FBI“, also eine Bundespolizei mit nachrichtendienstlichen Kompetenzen, strikt ab: „Das gibt es in Deutschland seit dem 8. Mai 1945 nicht mehr.“

Der SPD-Politiker hält es aber für möglich, einzelne Landesämter für Verfassungsschutz zusammenzulegen, „um die Reibungsverluste nicht zu groß werden zu lassen“. So könnten etwa die Verfassungsschutzbehörden von Berlin und Brandenburg oder dem Saarland und Rheinland-Pfalz fusionieren. Gleiches sei für einzelne Bundesländer in Nord- und Ostdeutschland vorstellbar.

Noch einen Schritt weiter geht die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg verlangt indirekt eine Aufhebung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten. Die Datenschutzbestimmungen würden „den Sicherheitsbehörden den Aufbau und die Nutzung wichtiger gemeinsamer Dateien“ verbieten. Genau dies aber will die GdP. In einer zentralen Datei sollen die Erkenntnisse von Nachrichtendiensten und Polizei „zum raschen Zugriff für die beteiligten Behörden zusammengeführt werden“. Das jedoch lehnen sowohl Wiefelspütz als auch Beck ab. „Es ist gute bundesdeutsche Tradition, Polizei und Geheimdienste zu trennen“, so Wiefelspütz.