: Die Böse-Bilanz
„Wenn hier einer Optimismus verbreitet, bin ich das“ – sagt Kultursenator Böse zum (vorläufigen?) Ende seiner Amtszeit. Aber was ist mit Unterfinanzierung, fehlender Planbarkeit mangels Kontrakten, Orchester-Querelen und Verwaltungsreform?
2000 wechselte Kuno Böse (CDU), vorher Staatsrat für Inneres in Berlin, in gleicher Funktion nach Bremen. Ein Jahr später beerbte er den von der CDU geschassten Bernt Schulte (ebenfalls CDU) als Senator für Inneres, Kultur und Sport.
taz: Sie haben fast zwei Jahre als Bremer Kultursenator hinter sich. Wie ist die Stimmung?
Kuno Böse: Ausgesprochen gut. Weil ich glaube, dass es in dieser Zeit gelungen ist, die Dinge so zu verändern, dass auf allen Seiten mehr Vertrauen entstanden ist. Pierwoß [der Intendant des Bremer Theaters] war der Prüffall. Schon in den ersten Wochen meiner Amtszeit hatte man mir geraten, in eine gerichtliche Auseinandersetzung mit ihm zu gehen. In Pierwoß’ Vertrag stand nicht drin, dass die Zusage des Ausgleichs der Tarifsteigerungen am Theater unter Haushaltsvorbehalt steht. Aber ich wollte mein Amt nicht mit einem Prozess gegen Pierwoß beginnen.
Wer hatte Ihnen denn zum Prozessieren geraten?
Das waren viele – intern und extern.
Wo haben Sie eine prägende Handschrift hinterlassen?
Das Wichtigste ist, dass es gelungen ist, die Stimmung für Kultur in dieser Stadt zu verändern. Ich bin in einer sehr komplizierten Situation Senator geworden. Bei der Bestandsaufnahme musste ich dann feststellen, welche Unterfinanzierung bei der Kultur herrscht. Ich wollte ein Signal geben, dass diese Haushaltsnöte gesehen werden, dass andererseits aber auch Veränderungen in der Kultur erfolgen müssen. Das waren sehr harte Diskussionen, auch im Parlament – wo man immer wieder unterstellt hat, dass sich die Kultureinrichtungen nicht verändern können oder wollen.
Politiker sagen ja häufig Dinge, von denen sie persönlich gar nicht überzeugt sind. Aber ich bin zutiefst überzeugt, dass das Projekt Kulturhauptstadt dieser Stadt schon eine völlige Veränderung gebracht hat. „Kultur als Motor der Stadtsanierung“ – das ist nicht nur ein Schlagwort.
In Berlin herrscht ein Kulturkampf, da wird vieles geschlossen. Sie haben auch in anderen Großstädten wie Hamburg oder Köln scharfe Auseinandersetzungen. In Bremen hatten wir früher Krieg – im Moment nicht. Der Deutsche Kulturrat hat beklagt, dass den Kommunen dieses Jahr im Durchschnitt vier Prozent weniger Mittel für Kultur zur Verfügung stehen. In Bremen jedoch haben wir in 2003 zwischen sechs und acht Prozent mehr.
Wenn Sie so wollen, ist das jetzt eine Art Glaubensbekenntnis: Für mich kann Bremen ein Modell sein für ein völlig gewandeltes Bild von Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe den Ehrgeiz, dieses auch zu zeigen und weiter fort zu führen – obwohl mir bewusst ist, dass wir uns auf ganz dünnem Eis bewegen. Wenn es jetzt willkürliche Haushaltsrückschnitte geben sollte, ist der Weg gescheitert, dann ist es aus.
Sie hatten einen schwachen Vorgänger und konnten zu Beginn Ihrer Amtszeit viele Sympathien erwerben. Jetzt aber ist Ihr Image bei einigen ziemlich angekratzt. Können Sie das nachvollziehen?
Nein. Ich weiß auch nicht, was angekratzt heißt. Das ist doch wie in einer Beziehung: Das Bild der ersten Monate ist nicht wie das nach zwei Jahren.
Bei den „Szenen Ihrer Ehe“ mit der Kulturszene flogen auch Fetzen. Beim Neujahrsempfang der Kulturinitiative „Anstoß“ war es nur Ihrem Pressesprecher zu verdanken, dass Sie nicht wutschnaubend den Saal verlassen haben.
Das war während einer heißen Phase der Verhandlungen mit Herrn Pierwoß. Da war ich in der Tat betroffen von einer Ansprache und habe gesagt: Wenn das so geht, dann macht doch euren Kram alleine.
Seit ich die Verantwortung habe in diesem Superressort – es ist ein Superressort, bedenken Sie mal, was ich für Inneres in Bremen und weit darüber hinaus tue, und mit Sport ist es eben so – habe ich für Kultur gekämpft wie ein Löwe. Es gibt in dieser Stadt nun mal Skepsis gegenüber Kultur, das kann ich nicht von heute auf morgen ändern. Früher war man hier doch der Meinung, Kultur kann nicht wirtschaften, die schmeißen nur das Geld zum Fenster raus.
Mit Inneres habe ich einen Ressortteil, wo man stark sein muss und auch schon mal auf den Tisch haut. Als Kultursenator bin ich fast ein Flagellant und muss immer mit der Peitsche auf meinen Rücken hauen – oder andere tun das. Ein Kultursenator ist eo ipso schwach. Aber vielleicht habe ich als Innensenator für Kultur ein bisschen was rausgehandelt.
Eines Ihrer bei Amtsantritt erklärten Ziele war, mehr Einfluss auf die zahlreichen Kulturaktivitäten des Wirtschaftsressorts zu kriegen. Wie weit sind Sie da gekommen?
Ich habe gesagt, dass ich in dieser Legislaturperiode die Zuständigkeiten nicht ändern kann. Aber ich möchte zumindest, dass Kultur, fachlich gesehen, in einer Hand liegt. Das ist zum Teil erreicht worden Aber auch nur zum Teil.
Wo denn?
Es gibt eine verbesserte Abstimmung, was Musikfest und „Glocke“ betrifft. Aber ich gebe zu: Das Ziel habe ich nicht erreicht. Wir hatten verabredet, eine gemeinsame Arbeitsgruppe einzusetzen, das ist aus ganz praktischen Gründen nicht gelaufen. Die Arbeitszeit in der Verwaltung stand nicht zur Verfügung und dann hat man das nicht geschafft.
Also: Nicht Herr Hattig hat gemauert, sondern Sie haben es nicht hin gekriegt?
Ich habe überhaupt noch nie erlebt, dass Herr Hattig mauert, wir verstehen uns ausgesprochen gut. In der nächsten Legislaturperiode muss es eine Konzentration der Zuständigkeiten für Kultur geben. Wenn Kultur nicht aus einem Guss gemacht wird, dann wird auch das Projekt Kulturhauptstadt holpern.
Es kann nicht sein, dass ein Senator gestalten kann, weil er Gestaltungsmittel hat, und der andere Senator – in dem Fall ich – hat Mittel, die nicht mal ausreichen, um die vorhandenen Kultureinrichtungen zu finanzieren. Da bin ich im Vergleich wirklich benachteiligt.
Was halten Sie für Ihren größten eigenen kulturpolitischen Fehler beziehungsweise Misserfolg?
Eigentlich fällt mir nur einer ein: Dass ich die Reorganisation der Verwaltung nicht geschafft habe. Das hat mir der Personalrat kaputt gemacht. In Bremen hat man nicht das ansonsten verbriefte Recht eines Ministers, dass er die Organisationshoheit in seinem engeren Bereich hat. Statt dessen eine Allzuständigkeit des Personalrates.
Die dringend anstehende Reorganisation ist auch ein Erbe, das ich schon von meiner Vor-Vorgängerin übernommen habe. In meiner Zeit konnte ich nicht eine einzige Stelle besetzen. Es gibt leergefallene Referate, die jetzt alle zusammen gelegt worden sind.
Man braucht eine Verwaltung, die funktioniert, die auch als Dienstleisterin für die Kultureinrichtungen da ist – zum Beispiel was Drittmittel-Einwerbung betrifft. Das habe ich nicht erreicht, das tut weh.
Welche Rolle hat dabei Ihre Kulturstaatsrätin als Behördenchefin gespielt?
Frau Motschmann hat in dieser Frage eine sehr eindeutige Haltung eingenommen. Ich habe eine Staatsrätin, die diese Arbeiten zu meiner Zufriedenheit erledigt.
Nicht nur Ihre Verwaltung wird vielerorts kritisiert, auch die Stellung und Zukunft der kmb sind ungeklärt. Die dringend geforderten Kontrakte stehen aus, und Projekte wie die Privatisierung des ehemaligen Staatsorchesters haben mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Letztlich habe ich die Verantwortung für all’ das, was meine Mitarbeiter tun. Aber ich bin zum Beispiel nie auf die Idee gekommen, dass die Vereinbarung über die finanzielle Beteiligung der Philharmonischen Gesellschaft an der neuen Orchester-GmbH nicht schriftlich festgehalten ist. Die Philosophie war ja, dass die Gesellschafter das Orchester wirklich tragen und nicht nur einzelne Konzerte sponsern – sonst ist das kein „Public Private Partnership“.
Sind Sie enttäuscht von der Philharmonischen Gesellschaft?
Ja.
Die Kulturszene wiederum ist enttäuscht, dass es die lange diskutierten Kontrakte noch nicht gibt.
Die Kontrakte sind von der kmb erarbeitet worden, wodurch die bisher immer nur vermutete Unterfinanzierung der Kultureinrichtungen erstmals mit Zahlen festgestellt und untermauert wurde. Das ist ein Verdienst der kmb. Daher weiß ich gar nicht, warum diese Undankbarkeit gegenüber der kmb da ist! Hier ging es um enorme Summen, und angesichts des unerwarteten Volumens konnten wir das in dieser zu Ende gehenden Legislaturperiode nicht mehr machen – das muss ein neu gewählter Senat entscheiden. Die Gelder werden ja neu aufgeteilt, es gibt einen Kassensturz. Ein neuer Senat, eine neu gewählte Bürgerschaft muss dann ihre Schwerpunkte definieren. Ich finde, es ist ein demokratisches Verfahren, nicht zum Schluss die Gelder fest zu legen.
Man kann das auch als vertane Chance sehen.
Ich würde nicht sagen, dass ich eine schwache Figur im Senat bin. Aber einer gegen sechs – wer hätte das durchsetzen können?
Mit der Senatskanzlei mussten Sie auch um die Federführung beim Projekt Kulturhauptstadt kämpfen.
Ja.
Das verwundert, weil Sie als „Supersenator“ doch eigentlich ein politisches Schwergewicht sind.
Vielleicht gerade deswegen. Da kommt die Frage auf: Hat der nicht zuviel Power? Wird das unbekömmlich für die anderen? Wichtig ist das Ergebnis: Die Federführung hat der Kultursenator.
Im übrigen habe ich nichts gegen eine Staatsräte-Lenkungsgruppe [ein solches Gremium wurde zur Vorbereitung der Bewerbung um den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ gebildet] – das sind Beamte, die eine Arbeitsgruppe bilden. Aber ich wollte nie und nimmer, dass die die Federführung haben. Es hat auch Jemand gesagt: Einen Intendanten oder künstlerischen Leiter der Bewerbung gibt es nur über meine Leiche. Da ist es doch ein großer Erfolg, dass wir jetzt mit Martin Heller und Martin Roth international renommierte Fachleute gewonnen haben.
Die Senatskanzlei beziehungsweise das Rathaus haben Ambitionen, das Kulturessort zu sich zu holen. Hielten Sie das für eine günstige Kombination?
Nein. Der Bürgermeister müsste ja sehr viel Arbeit hineinstecken. Es muss die Ressort-Kombination gefunden werden, die für Kultur die beste ist. Ob das die gegenwärtige ist, sei dahingestellt. Ich bin manchmal am Rande dessen, was ich noch leisten kann.
Bleiben Sie trotzdem, den Wahlerfolg vorausgesetzt, Kultursenator?
Im Prinzip stehe ich zur Verfügung. Aber nur, wenn das, was ich aufgebaut habe, nicht wieder in Frage gestellt wird.
Das heißt: Bei einem Absenken des Kulturhaushalts und ohne mehrjährige Kontrakte für die Einrichtungen wird es auch keinen Kultursenator Böse mehr geben?
Das sind in der Tat Angelpunkte an denen ich messe, ob ich die Verantwortung weiter tragen kann.
Was sagen Sie zu den hartnäckigen Gerüchten, Sie wollten Bremen verlassen?
Das ist Unsinn.
Der Fraktionsvorsitzende, Jens Eckhoff, macht gerne in Kulturpolitik. Ist er ein potentieller Nachfolger für Ihr Amt?
Herr Eckhoff ist sicherlich eine Hoffnung der CDU. Wenn er Spaß hat an Kultur und die Partei ihn will, könnte ich das schon verstehen.
Schwarz-Grün ist für Sie auch keine Horrorvision. Könnten Sie sich die Zusammenarbeit mit einer Kultursenatorin Helga Trüpel vorstellen?
Mit der Person Helga Trüpel habe ich überhaupt keine Probleme, ich schätze sie sehr. Natürlich hat sie mich als Oppositionsvertreterin manchmal gequält – aber wir spielen alle unsere Rolle. Das hätte ich an ihrer Stelle auch getan. Trotzdem halte ich einen schwarz-grünen Senat in der gegenwärtigen Situation für nicht erreichbar. Die inhaltlichen Unterschiede etwa in der Innenpolitik sind zu groß.
Aber eine schwarz-grüne Kulturpolitik wäre in Bremen denkbar?
Mit Frau Trüpel könnte ich sehr gut zusammen arbeiten. Wie ich es auch mit Carmen Emigholz (kulturpolitische Sprecherin der SPD) und Sigrid Koestermann (kulturpolitische Sprecherin der CDU) bereits tue. Wir alle arbeiten mehr kultur- als parteiorientiert.
Intendant Klaus Pierwoß hat Sie, wegen Ihrer pessimistischen Äußerungen zur weiteren Durchsetzbarkeit des bisherigen Kulturetats, eine „Kassandra“ geheißen. Welche Replik hat der Historiker Kuno Böse parat?
Jetzt müsste ich ein geistreiches Gegenbild bringen. Aber ich habe nie gesagt, dass der Eckwert nicht zu halten ist – sondern: dass wir kämpfen müssen. Wenn hier einer Optimismus verbreitet hat, war ich das.
Interview: Henning Bleyl
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