: „Wir brauchen die Debatte“
Am Sonntag diskutieren Experten im BE erstmals öffentlich über die umstrittene „Flick-Sammlung“. Kultursenator Flierl fordert einen notwendigen, aber fairen Diskurs über Verantwortung, nicht Schuld
Interview ROLF LAUTENSCHLÄGER
taz: Herr Flierl, am Sonntag wird erstmals über die umstrittene Flick-Collection, die nach Berlin kommt, öffentlich debattiert. Hinter den Kulissen dagegen knirscht es schon lange. Warum hat sich der Kultursenator im Diskurs so zurückgehalten?
Thomas Flierl: Zunächst einmal ist es Angelegenheit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und von Herr Flick gewesen, die Sammlungsübernahme vorzubereiten. Auch der Regierende Bürgermeister und die Senatskanzlei waren involviert. Ich selbst war darüber informiert, habe aber durchaus die Auffassung geteilt, dass wir eine Debatte brauchen: Die findet nun statt. Es ist richtig, dass wir darüber öffentlich diskutieren sollen und müssen.
Kommt Ihr Appell nicht etwas spät? Sollte man von einem Linken, wie Sie es sind, nicht schon im Vorfeld mehr Positionierung zum Thema Flick erwarten können?
Die Erwartungshaltung, schon Antworten zu geben, bevor die Fragen gestellt sind, finde ich merkwürdig. Jetzt ist es an der Zeit, den Entstehungszusammenhang der Sammlung zu erörtern. Und es ist zu berücksichtigen, auf welche Weise sich Friedrich Christian Flick selbst in die Diskussion eingebracht hat. Er ist der Debatte keineswegs ausgewichen.
Die grüne Politikerin Ströver spricht von einem skandalösen Vorgang und von historischer Ignoranz, die Übernahme sei „in geheimniskrämerischer Weise“ vonstatten gegangen. Ist da nicht was dran?
Es gibt unterschiedliche Auffassungen, ob Berlin vor dem Hintergrund der Entstehung die Sammlung übernehmen sollte oder nicht. Ich denke, zunächst ist diese Sammlung unstrittig eine Bereicherung der Berliner Kunstlandschaft und wird das Konzept im Hamburger Bahnhof ergänzen. Zugleich gehört die Diskussion über die Geschichte und Entstehung der Sammlung genau nach Berlin. Hier und nirgends sonst muss sie doch notwendigerweise geführt werden. Die moralisierende Zuspitzung, ob es richtig oder falsch sei, die Flick-Collection in der Stadt zu zeigen, kann nur positiv beantwortet werden.
Mit welchem Ziel führen Sie eine solch „notwendige“ Debatte?
Es geht mir um eine historische Vergewisserung sowohl der deutschen Geschichte, die mit dem Namen Flick und seiner Familie verbunden ist, als auch um eine spezifisch deutsche Nachkriegsentwicklung, die eine Person wie Friedrich Christian Flick in die Lage versetzt, selbst zum Kunstmäzen zu werden. Gerade einem Linken, einem materialistisch Geschulten, müssen doch Zusammenhang und Differenz von individueller Verantwortung und gesellschaftlichen Strukturen besonders am Herzen liegen.
Denken Sie, der Diskussionsprozess kann – vielleicht ebenso wie die Schau – vermittelt werden?
Ich glaube, Ausstellung und Rezeption gehören zusammen. Das kann auf angemessene Weise am Ausstellungsort dokumentiert werden. Es wird doch interessant sein, zu sehen, wie die Öffentlichkeit die Übernahme der Sammlung begleitet. Auch die Art des Sammelns und die Bewältigung der eigenen Geschichte können Thema sein. Ich teile übrigens Flicks Auffassung, er stehe in der Verantwortung, aber nicht in der persönlichen Schuld.
Das haben die Züricher provokant und anders beurteilt. Sie wollten die Sammlung nicht, weil diese mit „Blutgeld“ aus dem Vermögen seines Onkels, des NS-Rüstungsfabrikanten, finanziert sei.
Nicht in Zürich, München oder New York, sondern hier in Berlin ist die Debatte wichtig. Schon in Zürich ist meiner Kenntnis nach Herrn Flicks eigenes Ansinnen und Verhalten offen gelegt worden. Natürlich muss man sehr genau hingucken, wie sich Reichtum überhaupt akkumuliert und wie sich in Deutschland nach dem Krieg, aber auch nach 1990, in den bürgerlichern Schichten Besitz gebildet hat.
Will Flick nicht mit der Übergabe auch den Namen der Familie wieder aufwerten?
Nein, ich denke nicht, dass er die Präsentation als eine Art Ablasshandel sieht, auch nicht, dass er den Namen Flick reinwaschen will. Er will seinen Beitrag leisten, und aus meiner Sicht macht er das verantwortungsvoll. Die Verbrechen und die Verantwortung seiner Familie werden dadurch nicht relativiert.
Begrüßen Sie eigentlich diese Form des Mäzenatentums, bei der das Land weder Einfluss auf Auswahl und Konzept noch auf die museale Präsentation hat? Befördert der ausgeblutete Landeshaushalt das in Zukunft noch mehr?
Das ist kein Berliner Problem allein. Sondern es offenbart genau dieses Strukturproblem der öffentlichen Haushalte einerseits und der Akkumulation privaten Reichtums andererseits, die auch in Kunstsammeln umgesetzt werden kann. Es ist eine Bereicherung, wenn Kunst quasi der Öffentlichkeit zurückgegeben wird. Es kann aber auch zu einer Herausforderung oder gar Belastung werden – zumal wenn das Land die Infrastruktur, etwa das Museum, erstellen muss, wie es bei der Sammlung Ludwig in Köln geschehen ist. Es ist heute ein Grundproblem, dass öffentliches Sammeln kaum noch von den Institutionen getragen wird. Das haben private Sammler übernommen, und speziell bei der Moderne ist deren Konzept nicht immer frei von Markttendenzen. Ich sehe das durchaus ambivalent, wenn solche Sammlungen Museen überantwortet werden.