Seitenwechsler im Namen Gottes

Hassan Hattab wechselte von Algeriens Armee in den islamistischen Untergrund. Heute lässt er Touristen entführen

Am Anfang stand eine Fatwa. Die Nummer zwei des Terrornetzes al-Qaida, Ayman al Zawahri, erließ 1997 das unmissverständliche religiöse Urteil: Der Kampf der algerischen Islamischen Bewaffneten Gruppen (GIA) unter Antar Zouabri widerspricht der Rechtsauffassung des Koran. Das Töten von Zivilisten sei nicht mit der Scharia zu vereinbaren.

Hassan Hattab, damals 32 Jahre alt – hörte auf diese Fatwa. Der Mann aus Rouiba, einem Vorort Algiers, spaltete sich mit ein paar hundert Mann von Zouabri ab. Hattab hatte bis dahin die Gruppen der GIA in der Kabylei, der bergigen Berberregion eine Autostunde östlich von Algier, geleitet. Unter dem neuen Namen Salafistische Gruppe für Kampf und Predigt (GSPC) begannen die Abtrünnigen ihren eigenen Kampf, den Hattab bald auch auf das weiter östlich gelegene Aures-Gebirge ausweiten sollte.

Hattab, der seine raren Kommuniqués mit Abou Hamza Hassan Hattab unterzeichnet, gehört zu denen, die nach dem Verbot der Islamischen Heilsfront (FIS) 1992 die Seiten wechselten. Der Fallschirmjäger desertierte aus der algerischen Armee und schloss sich dem islamistischen Untergrund an. Schon bald sollte der Mann dank seiner guten Ausbildung an den Waffen zur GIA-Führung gehören. Heute verfügt er mit der GSPC über die am besten organisierte bewaffnete Gruppe in Algerien. Auf Hattabs Kopf sind drei Millionen Dinar (34.000 Euro) ausgesetzt.

Nicht gegen Dorfbewohner, die sich von den Islamisten abkehrten, sondern gegen die Sicherheitskräfte führt Hattab mit seinen Truppen einen Krieg. Immer wieder lockt er Armeekonvois in Hinterhalte. Die GSPC operiert dabei nicht nur in abgelegenen Regionen. Auch auf der viel befahrenen Autobahn von Algier in die Berbermetropole Tizi Ouzou beschießen sie Militärfahrzeuge. Anfang des Jahres gelang den GSPC der größte Schlag gegen die Armee seit Beginn des blutigen Bürgerkriegs 1992. 43 Soldaten wurden im Aures-Gebirge getötet, 40 weitere teils schwer verletzt. Zwei Brüder und ein Cousin Emir Hattabs verloren ihr Leben.

Hattab hat Großes vor. Er sieht sich selbst als den erbittertsten Gegner des „ungläubigen Regimes“. 1999, als der frisch gewählte Präsident Abdelasis Bouteflika eine Amnestie und die nationale Aussöhnung anbot, lehnte Hattab dies ab. Er drohte seinen Kämpfern mit der Hinrichtung. Gleichzeitig suchte er Kontakte zu al-Qaida, dessen spirituellem Ruf er einst gefolgt war.

Ussama Bin Laden kam dies gelegen. Er ließ die Chance, sein Netzwerk auszubauen, nicht ungenutzt. Nach Militärangaben erhielt die heute 500 Mann zählende GSPC Unterstützung aus dem fernen Afghanistan. Ausbilder sollen in die Berge der Kabylei gereist sein, um die algerischen Brüder in Taktik und Strategie zu unterweisen.

Dabei hat Emir Hattab längst nicht mehr nur Algerien im Visier. Er unterhält heute ein breites Netz in Europa. Verhaftungen von Spanien bis Großbritannien belegen dies. Kurz nach dem 11. September schickte der Chef-Gotteskrieger aus den Bergen der Kabylei eine Solidaritätsadresse an sein großes Vorbild Ussama Bin Laden. In diesem Schreiben droht Hassan Hattab mit „Schlägen gegen amerikanische und europäische Interessen in Algerien“. Vielleicht war die Entführung der 32 Saharatouristen die erste Aktion in dieser Richtung. REINER WANDLER