BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE : Mit Angela Merkel in eisigen Höhen
Für Machtkämpfe unter Frauen gibt es komischerweise keinen Kodex. Aber dafür gibt’s ja die Kletterwand
Unlängst verbreiteten die Nachrichtenagenturen eine brisante Umfrage: Tausende von Beschäftigten wurden gefragt, ob sie lieber einen Mann oder eine Frau als Chef beziehungsweise Chefin hätten. Immerhin 13 Prozent der befragten Männer gaben an, dass ihnen eine Frau als Vorgesetzte lieber wäre – aber nur fünf Prozent der Frauen wollten eine Chefin. So wird das also nichts mit einer Bundeskanzlerin. DieKonkurrenz unter Frauen ist das Problem. Auch die Sache mit Karla in der Kletterhalle beschäftigt mich mehr, als mir lieb ist.
„Also Power hat sie, dass muss man zugeben“, sagt Elisa und schaut bewundernd zu Karla empor. Die blaue Tour, der Überhang, ein klarer siebter Grad. Karla hangelt sich behende durch die Griffe. Vor drei Wochen ist sie in unsere Klettergruppe zurückgekehrt, nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Kalifornien. Sie ist die Gründerin der Gruppe, und ich glaube, es passt ihr nicht, dass ich während ihrer Abwesenheit dazugestoßen bin. Ich schaffe höchstens eine Sechs minus, und auch das nur im Nachstieg. Karla grüßt mich nicht. Sie guckt durch mich durch. Und plötzlich haben auch Robert und Winfried aufgehört, mich freundlich zu begrüßen.
„Ein klarer Fall von Territorialkampf“, hatte mein Freund Simon gesagt, als ich ihm die Sache schilderte, „die Frau hat diese Gruppe letztes Jahr mit Leistungsanspruch gegründet. Und jetzt bist du gekommen und machst einen fröhlichen Freizeittreff draus. Du bist in ihr Territorum eingebrochen.“
Karla ist am Ende der Tour angekommen und seilt sich ab. Elisa lobt. Auch ich könnte was Nettes sagen. Aber Freundlichkeit funktioniert ja nicht. Als ich Karla die letzten beiden Male demonstrativ lächelnd begrüßte, murmelte sie nur irgendwas, ganz so, als hätte ich sie belästigt.
„Sich besonders nett zu geben ist ein Unterwerfungssignal“ hatte mich Simon danach aufgeklärt, „das wirkt verlogen.“ Simon hält das Gerede von „männlichem“ und „weiblichem“ Führungsstil für überholt. Was verständlich ist angesichts seiner neuen Chefin, die seinen Lieblingskollegen gefeuert und alle mit ihren innovativen Sparplänen überrascht hat. „Warte nur, bis Angela Merkel Bundeskanzlerin ist“, hatte Simon gefrotzelt, „dann dürfen wir endlich auch mal Frauen in Führungspositionen zum Kotzen finden.“
Ich brauche keine Bundeskanzlerin. Für heute reicht mir Karla. Sie hat sich ausgebunden und lässt sich mit einem erschöpften Seufzer auf die Sturzmatte fallen, als sei sie gerade vom Nanga Parbat zurückgekehrt. „Ich finde, Karla macht hier ganz schön den Chef“, flüstere ich Elisa zu. „Ach nee, ist mir noch gar nicht aufgefallen, Wie kommst du denn darauf?“ Ja wie komme ich denn darauf? Wo doch alles hier nett und friedlich ist und nur ich mit meinen widerlichen Fantasien, einer garantiert irgendwie unbearbeiteten Mutter- oder Schwesterkiste, die Intrige in unsre Gruppe trage! „Schuldgefühle“, hatte aber Simon bereits konstatiert, „gehören zum Machtkampf. Lass dich davon nicht beirren.“
Vielleicht sollte ich doch mal offen mit Karla reden, so richtig ehrlich. Nur leider hat mir Simon auch davon schon abgeraten: „Bloß nicht die Psychomasche, von wegen: Du, also ich find das Scheiße, und so. Wirkt nur peinlich, wenn die Frau eigentlich sauer ist auf dich.“ Karla hat sich jetzt an den Vorstieg in der grünen Tour gemacht. Eine Sieben plus. Die schmalen Griffe sind Fingerarbeit. Robert sichert sie. Alle schauen hin.
Ich schlage Winfried und Elisa die rote Tour vor. Nur eine Fünf mit großen Griffen. Winfried klettert vor, ich pfeife durch die Lippen, erzeuge Windgeräusche, „du bist auf dem Mount Everest“ juxe ich nach oben. Winfried lacht. Elisa kichert. „Vergiss nicht, die Sauerstoffflasche wieder vom Gipfel mitzubringen“, setze ich nach. „Du weißt doch, auf dem Everest liegt immer so viel Müll rum“, brüllt Elisa und schüttet sich aus vor Lachen. Karla schaut aufmerksam rüber. Hier ist die Party. Hier bei mir. Ich fühle mich wie einer dieser berüchtigten Mafiabosse im Film, deren Macht man daran erkennt, dass sie immer lockere Witze auf Lager haben. Ich bin unabhängig. Locker.
„Tschüss“, sage ich großzügig zu Karla, als ich eine Stunde später den Umkleideraum verlasse. „Tschüss“, ruft sie hinterher, fast schon freundlich. Ich spüre ein angenehm leichtes Gefühl im Bauch. Menschen brauchen Grenzen. Und eigentlich fand ich sie am Anfang ja ganz nett, auch irgendwie anziehend mit ihren schrägen braunen Augen.
„Das Leben ist wie Bergsport“, hatte Elisa kürzlich sinniert, „Kälte kann dich umbringen, aber Härte nicht.“ Wie wahr.
Fragen zur Höhenangst? kolumne@taz.de Morgen: Philip Maußhardt über KLATSCH