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Archiv-Artikel

Koalition der Unwilligen

Die USA zerschlagen mit ihrer Politik die Bündnisse, obwohl auch sie von ihnen abhängen. Dieses Verhalten zwingt die Europäer zu einer unabhängigen Außenpolitik

Politiker, die die imperialen Forderungen der USA über das nationale Interesse stellen, haben keine große Zukunft

Die internationalen Beziehungen verändern sich derzeit so fundamental und weitreichend wie zu Zeiten der Auflösung des Ostblocks. Die Stärke und der Einfluss der Vereinigten Staaten hingen zum größten Teil davon ab, dass sie andere Staaten davon überzeugen konnten, der Fortbestand der globalen Rolle der USA sei vor allem auch in ihrem Interesse. Aber das Ausmaß und die Konsequenzen dieser Weltmission, einschließlich der außerordentlich vagen Doktrin der „präemptiven Kriege“, sind heute weit gefährlicher und ausufernder als in den Zeiten, in denen der Kommunismus noch existierte.

Alte Feinde sind verschwunden, neue traten an deren Stelle – manche davon frühere Verbündete oder sogar enge Freunde. Die USA benötigen Bündnisse. Wie sehr das der Fall ist, scheint ihnen jedoch nicht ausreichend klar zu sein. Stattdessen werden die Verbündeten in „Koalitionen der Willigen“ eingebunden. Doch die Ereignisse der letzten Tage in Spanien, von den tödlichen Attentaten in Madrid bis zur Wahlniederlage der regierenden Konservativen – die verloren, weil sie den Krieg im Irak trotz des einhelligen Widerstands der Bevölkerung unterstützten –, haben die Kosten stark erhöht, die Verbündete Washingtons für ihre Gefolgschaft zu zahlen haben.

Die Regierung Bush hat dieses System von Allianzen, das seit 1947 die amerikanische Außenpolitik bestimmte, ausgehöhlt. Dies ist ihrer Ungeschicklichkeit geschuldet, auch ihrer vagen Ideologie von amerikanischer Macht, die keine Grenzen ihres globalen Strebens kennt, und ihrer Bevorzugung unilateralen Handelns, das Konsultationen der Freunde oder gar der Vereinten Nationen gering schätzt. Durch die Proliferation verschiedenster zerstörerischer Waffen wird die Welt zu einem zunehmend gefährlichen Ort.

Falls Bush wiedergewählt wird, könnte die internationale Ordnung sich 2008 stark von der heutigen oder gar der von 1999 unterscheiden. Sollten die Demokraten gewinnen, werden sie versuchen, im Namen des Internationalismus jenes System von Bündnissen zu rekonstruieren, das bis zum Jugoslawienkrieg von 1999 bestand.

Wer Bush kritisiert, sollte sich jedoch besser keine Illusionen über John Kerry machen. Der Präsidentschaftskandidat der Demokraten hat vielen innen- und außenpolitischen Schlüsselprojekten Bushs zugestimmt. Er vermag keine Alternative zu Bushs Außen- und Verteidigungspolitik zu formulieren. Überhaupt gab es seit 1947 in den wesentlichen außenpolitischen Fragen grundsätzlich Einigkeit zwischen Demokraten und Republikanern, auch wenn sie häufig unterschiedliche Formulierungen gebrauchten. Nach den US-Wahlen wird also kein Kritiker der bestehenden innen- oder außenpolitischen Ordnung in Washington die Macht übernehmen. Es klingt wie eine gefährliche These – aber Bushs Wiederwahl könnte das kleinere Übel sein, denn er wird eher die Zerschlagung des alten Bündnissystems fortführen, von dem die Macht der USA abhängt.

Wir müssen die Folgen einer Wiederwahl Bushs für die Außenpolitik nüchtern abwägen. Dessen Politik hat viele Staaten in unterschiedlichem Ausmaß den USA entfremdet. Selbst enge Verbündete wie Großbritannien, Australien und Kanada werden vor der Frage stehen: Ist es in ihrem nationalen Interesse, Washington einen politischen Blankoscheck zu geben, oder schaden sich die jeweiligen Regierungsparteien damit? Außenpolitik ist, wie die Attentate in Madrid dramatisch vorgeführt haben, zu wichtig, um einfach der Führung Washingtons zu folgen. Nicht nur die regierenden Parteien zahlen möglicherweise einen hohen Preis, ein solches Verhalten könnte auch in der Bevölkerung zahlreiche Opfer fordern.

Frankreich und Deutschland waren wegen der US-Begründung für den Krieg im Irak veranlasst, früher unabhängig zu werden, als sie es beabsichtigt hatten. Die zukünftige Rolle der Nato wird nun in einer Weise in Frage gestellt, die noch vor zwei Jahren undenkbar gewesen wäre. Es ist heute eine offene Frage, wie Europa zukünftig seine Verteidigung gestalten wird. Aber es wird eine europäische Streitmacht geben müssen, die von der Kontrolle der Nato oder der USA unabhängig ist.

Deutschland lehnt mit Unterstützung Frankreichs die Bush-Doktrin vom Präventivkrieg entschieden ab. Tony Blair will zwar als Stellvertreter der USA in Militärfragen gelten, wird aber nicht umhin können, Großbritannien in das europäische Projekt zurückzuführen. Seine Glaubwürdigkeit im eigenen Land hat bereits einen Tiefpunkt erreicht – weil er den Krieg im Irak sklavisch unterstützte. Kurz: Politiker, die die imperialen Forderungen der USA über das nationale Interesse stellen, haben weniger Zukunft als solche, die auf Wünsche und öffentliche Meinung in ihrem Land eingehen.

Doch die Bush-Regierung hat nicht nur die Verbündeten vergrätzt. Auch die noch Mitte der 90er-Jahre aufkeimende enge Freundschaft mit der ehemaligen Sowjetunion hat sie in eine angespannte Beziehung verwandelt. Trotz einer nicht bindenden Zusage Washingtons aus dem Jahr 1997, keine größeren Zahlen von Kampftruppen auf dem Territorium der neuen osteuropäischen Nato-Mitglieder zu stationieren, soll das Bündnis jetzt bis an die russische Grenze ausgedehnt werden, wobei die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen Moskau mit besonderer Sorge erfüllen. Außerdem errichten die USA eine nicht genau bezifferte Zahl von Basen im Kaukasus und in Zentralasien.

Russland hat bereits erklärt, dass diese Einkreisung durch die USA es erforderlich macht, die russische Atomstreitmacht zu bewahren und zu modernisieren, damit man eine militärische Supermacht bleiben könne und dem vom Pentagon gebauten immer teureren und ehrgeizigeren Raketenabwehrsystem etwas entgegensetzen könne. Im vergangenen Monat hat Russland gedroht, den wichtigen Vertrag über konventionelle Waffen in Europa – der noch nicht in Kraft getreten ist – zu kündigen, denn Moskau betrachtet das Machtstreben der Vereinigten Staaten innerhalb des früheren Ostblocks als Provokation.

Bushs Wiederwahl könnte das kleinere Übel sein, denn er wird eher das alte Bündnissystem zerschlagen

Für die Verbündeten der von Bush regierten USA ist es nicht im nationalen Interesse und es dient nicht der Sicherheit ihrer Bevölkerung, einer Außenpolitik zu folgen, wenn dabei Fiktionen und säbelblitzendem Abenteurertum blind Gefolgschaft geleistet werden muss und dazu von falschen Informationen und Voraussetzungen ausgegangen wird. Sollte Bush wiedergewählt werden, sind die Verbündeten und Freunde der USA vor eine harte Entscheidung gestellt. Dies wird ein Prozess, der Bündnisse neu definieren und womöglich zerbrechen lassen wird. Am Ende wird wahrscheinlich eine unabhängige und realistische Außenpolitik der Verbündeten stehen. Die Ereignisse der vergangenen Tage in Spanien haben diese Wahrscheinlichkeit erhöht. Die USA werden nur dann vorsichtiger und die Welt sicherer werden, wenn Bushs Leute durch einen Mangel an Verbündeten gebremst und isoliert werden.

GABRIEL KOLKO

Deutsch von Stefan Schaaf