: Grüne verunsichert
Mühsame Suche nach eigenem Weg in Anti-Terror-Politik. Cohn-Bendit: „Polizisten aller Länder, vereinigt euch!“
BERLIN taz ■ Es wirkt ein bisschen lustig, wenn ausgerechnet der Temperamentsbolzen Daniel Cohn-Bendit seine Politikerkollegen mahnt: „Wir müssen einen kühlen Kopf behalten.“ Doch es ist kein Spaß. Der grüne Spitzenkandidat für die Europawahl meint den Umgang mit dem Terror. Da vergeht auch ihm das Scherzen. Wie ernst die Lage für die Grünen ist, wurde spätestens bei der gestrigen Vorstellung der Europawahlkampagne deutlich. Einfach weitermachen wie geplant – das geht nach den Anschlägen von Madrid nicht mehr. Und die Grünen stellen sich – mühsam – auf die neue Lage ein.
Locker-flockig wollte Cohn-Bendit die schönen Plakate präsentieren, die sich die Werbeagentur „Zum goldenen Hirschen“ für den ersten gemeinsamen Wahlkampf aller EU-Grünen ausgedacht hat. Da wirbt ein blaues Unterwasserfoto „für Meer und mehr“. Da empfehlen prächtige Baumkronen die Grünen, „damit Europa nicht die Luft ausgeht“. Und eine strahlend gelbe Sonnenblume, die „für besseres Klima in Europa“ stehen soll, wärmt das grüne Herz. Man wolle die Straßen während des Wahlkampfs „verschönern“, erläutert der Vertreter der Agentur. Eine nette Idee – von der an diesem Tag jedoch kaum jemand etwas wissen möchte. Alle Journalistenfragen drehen sich um das Thema Nummer eins: Die Sicherheit im Lande. Cohn-Bendit reagiert – mit dem grünen Vorschlag, eine „europäische Staatsanwaltschaft“ einzuführen und eine bessere Kooperation der EU-Polizeien hinzukriegen. Das dürfte allerdings kaum reichen, um die Debatte zu beenden.
Fast stündlich erschallen neue Forderungen der Union nach schärferen Gesetzen. Innenminister Otto Schily geht zumindest rhetorisch auf die Forderungen ein und spielt seine Lieblingsrolle als Schutzmann der Nation. Um das Zuwanderungsgesetz zu retten, ist er bereit, über die erleichterte Ausweisung potenzieller Terroristen zu verhandeln. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) freut sich und verkündet, mit der SPD könne man sich schnell einig werden, „wenn nicht Herr Schily auf die Grünen Rücksicht nehmen müsste“. Ob es stimmt oder nicht: Der kleine Koalitionspartner ist wieder einmal in Gefahr, an den Rand gedrängt zu werden.
Die grünen Fachpolitiker sind sich des Drucks bewusst. „Es ist notwendig, eine ernsthafte Diskussion zu führen, ob es bei der Herstellung von Sicherheit Defizite gibt“, sagt Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Es sei zwar richtig, dass die Grünen eine Grundgesetzänderung für den Bundeswehreinsatz im Inland ablehnen. Es bleibe auch dabei, dass sie neue Ausländergesetze „äußerst skeptisch“ sähen. „Eine Ausweisung auf Verdacht wird es mit uns nicht geben“, sagt Montag. „Das darf aber nicht heißen, dass wir gar nichts machen.“
Um den Vorwurf der Tatenlosigkeit zu entkräften, machen sich die Grünen für „mehr Effizienz“ von Verfassungsschutz und Geheimdiensten stark. Auch gegen eine Aufstockung der Mittel für die Polizei haben sie nichts einzuwenden. „Ein starker Staat ist für uns kein Schimpfwort“, stellt Montag klar, „aber es muss ein Rechtsstaat bleiben.“
Und Cohn-Bendit wäre nicht Cohn-Bendit, wenn ihm dazu nicht ein passender Slogan einfiele. „Polizisten aller Länder, vereinigt euch!“, schlägt er als grünes Motto für den Europawahlkampf vor. LUKAS WALLRAFF