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Archiv-Artikel

Umziehen verboten

Spätaussiedler müssen drei Jahre lang dort wohnen bleiben, wo der Staat sie haben will

AUS KARLSRUHECHRISTIAN RATH

Der Staat kann auch weiterhin den Wohnort von Spätaussiedlern bestimmen. Dies entschied gestern das Bundesverfassungsgericht und lehnte damit eine Klage von zwei Betroffenen ab. Diesen war die Sozialhilfe gestrichen worden, als sie in eine andere Stadt zogen.

Das 1996 eingeführte Wohnortzuweisungsgesetz verteilt die neu eintreffenden Aussiedler – zur Zeit sind es rund 70.000 pro Jahr – gleichmäßig auf die Bundesländer. Diese wiederum weisen die Neuankömmlinge einzelnen Kommunen zu. Die Aussiedler können zwar Wünsche äußern, haben aber keinen Anspruch auf Berücksichtigung. Wenn die Quote am gewünschten Ort bereits erfüllt ist, landen die Aussiedler einfach anderswo.

Diese Zuweisung gilt drei Jahre lang. Wer vorher umzieht, verliert den Anspruch auf Sozialhilfe – ein wirksames Druckmittel, da fast alle Aussiedler nach der Einreise zunächst auf öffentliche Hilfe angewiesen sind. Der Gesetzgeber wollte so eine gleichmäßige „Belastung“ der Städte und Gemeinden erreichen. Bis dahin hatten sich einreisende Aussiedler meist dort niedergelassen, wo schon ihre Verwandten lebten. So entstanden schnell Kommunen mit bis zu vierzig Prozent Aussiedleranteil und entsprechend hohen Sozialhilfekosten.

Gegen dieses „Umzugsverbot“ erhoben zwei Aussiedler aus Niedersachsen Verfassungsbeschwerde (siehe Kasten). Sie monierten einen Eingriff in ihr Grundrecht auf Freizügigkeit. Außerdem sei es unzulässig, dass sie anders behandelt werden als sonstige hilfsbedürftige Deutsche. Das Bundesverfassungsgericht hielt diese Grundrechtseingriffe nun aber für „gerechtfertigt“ und wies die Klagen ab.

Schon das Grundgesetz lasse ausdrücklich eine Einschränkung der Freizügigkeit zu, wenn „eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden“. Auch die Ungleichbehandlung von Aussiedlern und anderen Sozialhilfebeziehern gehe in Ordnung, da die Aussiedler besonders großen „Eingliederungsbedarf“ hätten.

Keine Chance hatte das Argument der Kläger, man könne die Kosten der Sozialhilfe auch umverteilen, um so eine Überforderung einzelner Kommunen zu vermeiden. Karlsruhe lehnte dies ab, da sich ein hoher Aussiedleranteil nicht nur bei der Sozialhilfe niederschlage. Auch sonstige Integrationskosten, etwa für Sozialarbeiter oder spezielle Beratungsstellen, seien in Rechnung zu stellen.

Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier betonte, dass die Akzeptanz für Aussiedler höher sei, wenn diese sich nicht auf einzelne Städte und Gemeinden konzentrierten. Letzlich liege die gleichmäßige Verteilung der Aussiedler sogar im Interesse der Betroffenen selbst. „Wahrscheinlich ist der Anreiz, Deutsch zu lernen, höher, wenn man sich im Alltag auf Deutsch verständigen muss“, argumentierte der Richter.

Am Ende der Verkündung wandte sich Papier an den 25-jährigen Kläger. Jener hatte das Gericht in der Verhandlung spürbar beeindruckt, weil er trotz einer Sprachbehinderung fast fehlerfrei Deutsch gelernt hatte. „Ihre Verfassungsbeschwerde war nicht umsonst“, betonte der Richter. Und forderte den Bundestag auf, für Härtefälle ein Verfahren zur nachträglichen Änderung des Wohnorts zu schaffen.

Jochen Welt, der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, begrüßte gestern das Urteil. Auch die geforderte Härtefallregelung werde bald eingeführt. „Wir wollen den Leuten das Leben ja nicht unnötig schwer machen“, sagte Welt nach der Verkündung in Karlsruhe. Das Zuweisungsgesetz werde ohnehin im Jahr 2005 evaluiert und soll nach derzeitigem Stand im Jahr 2009 wieder außer Kraft treten.