: Eine pittoreske Ruine
Abschied (III): Am ehrwürdigen Millerntor verabschieden die Fußballfans eine Trümmerelf des FC St. Pauli vom Profifußball. Und hoffen nach glorreichen Kicks gegen Preußen Münster und die HSV-Amateure schon auf den Wiederaufstieg
von EBERHARD SPOHD
Die Zeit der Leiden ist vorbei. Der FC St. Pauli hat sich nach 17 Jahren aus dem Profifußball verabschiedet. Das Millerntor wird nicht mehr Spielstätte sein für packende Abstiegsduelle in der Ersten oder auch nur der Zweiten Fußballbundesliga. Fußballgott sei Dank, denn wenn sich Wunder im Jahrestakt wiederholen, werden auch sie irgendwann langweilig. Die Fans, so schien es gestern im Spiel gegen den MSV Duisburg, sind dankbar, dass endlich die Entscheidung gefallen ist und sie auch rein rechnerisch alle Hoffnung fahren lassen dürfen.
Dabei sah es nach einer Viertelstunde so aus, als wollte der FC St. Pauli in einem Spiel alles nachholen, was er in der Saison unterließ. Zu diesem Zeitpunkt stand es bereits 3:0 für die Braun-Weißen, und auf einmal durfte wieder kalkuliert werden. Wie steht es um Ahlen, was machen Braunschweig und Reutlingen? Sie blieben durchweg siegreich. Höchste Zeit also, Abschied zu nehmen.
Freundliches Absingen der altbekannten „You'll never walk alone“-Hymne zeugt davon, dass die Anhänger der Trümmerelf auch in der kommenden Saison bereit sind, ans Millerntor zu pilgern, um sich Spiele gegen abgehalfterte Traditionsmannschaften wie Preußen Münster oder den Bundesliganachwuchs des Hamburger SV anzuschauen.
Inge Lemke steht stellvertretend für viele: „Wenn man so lange Zeit durch dick gegangen ist, dann geht man auch mit durch dünn.“ Die 81-Jährige, die nach dem Fußball am Sonntagnachmittag immer weiter zum Tanztee zieht, wird auch in der kommenden Spielzeit wieder auf der Gegengeraden sitzen und nach jedem Tor ihre Bonbons verteilen. Gestern zumindest war sie glücklich: Nach dem 3:0 waren die mitgebrachten Vorräte alle.
Darf man aber bei einem 4:0-Sieg von einer Trümmerelf sprechen? Ja, darf man. Wenn man lange genug dabei ist. „Die Reife zu einer pittoresken Ruine“, wie der taz-Zeichner Tom es einmal schön ausdrückte, „ist ein unspektakulärer Prozess.“ Das langsame Auseinanderbrechen eines erfolgreichen Teams, das in die Erste Bundesliga aufgestiegen und daselbst überfordert war, setzte sich auch im darauf folgenden und jetzt zu Ende gehenden Zweitligajahr ungebremst fort. „Das Team hat sich für das letzte Heimspiel viel vorgenommen“, so Trainer Franz Gerbers Fazit nach Spielschluss, „jetzt muss man befürchten, dass es auseinander bricht.“ Oder besser gesagt auseinander bröckelt.
Denn die Spieler, die Franz Gerber in den vergangenen Monaten verpflichtet hat, reichten gerade einmal aus, die größten Löcher zu stopfen. Eine Einheit stand in der gesamten Saison nur minutenweise auf dem Platz. So wie gestern in der ersten Viertelstunde gegen den MSV Duisburg.
Das ehrwürdige Millerntor hat sich vom Profifußball verabschiedet. Es sieht aus wie immer, eine pittoreske Ruine unter einem Himmel, über den dramaturgisch wie bestellt dunkle Wolken jagen. Nur die Fans denken an den Wiederaufstieg und träumen vom erneuten Sieg gegen die Bayern. Denn die Hoffnung wird zuerst geboren.
FC St. Pauli: Müller, Nascimento, Inceman (ab 75. Meier), Stanislawski, Gruszka, Chris, Gibbs, Rasijewski, Gerber (ab 89. Kurbjuweit), Fröhlich, N'Diaye (ab 67. Adamu) MSV Duisburg: Langerbein, Kienle, Tweed, Fakaj (ab 15. Schröder), Bönig, Wolters (ab 46. Gomis), Voss, Zeyer, Keidel, Gruev, Ebbers (ab 70. Jansen) Tore: 1:0 Fröhlich (7.), 2:0 Gerber (10.), 3:0 Fröhlich (13.), 4:0 Chris (84.) Zuschauer: 19.360