: Salat, Matjes und Koffer voller Post
Seit drei Monaten dabei und schon dafür verantwortlich, dass 800 Menschen täglich satt werden: Susanne Albes ist von Null auf Hundert durchgestartet – dank einer Beschäftigungsmaßnahme. Hauptsache Arbeit, sagt sie, „das ist das Beste“
taz ■ Ein Salatblatt kann große Symbolkraft entfalten. Eine Radieschenscheibe auch. Den Beginn von Eigeninitiative nämlich: Ein Käsebrötchen mit grünem oder rotem Tupfer sähe doch netter aus als ohne – das ist oft die erste eigene Idee der neuen MitarbeiterInnen in der Caféteria des Beruftsbildungszentrums. „Das berühmte Salatblatt“, sagt Lilian Fischer. So wie sie es sagt, hat sie die Idee schon oft gehört. Und oft abgelehnt. „Das mögen die Jugendlichen nicht, und dann fliegt’s hier auf’m Boden rum.“ Lilian Fischer ist Leiterin der Caféteria. Rund zehn Leute arbeiten hier im Rahmen von Beschäftigungsmaßnahmen nach Bundessozialhilfegesetz (BSHG 19), Träger ist die Neue Arbeit der Diakonie, an Spitzentagen werden hier 800 Personen verköstigt. Über das Salatblatt freut sich Lilian Fischer deshalb, weil es zeigt, dass ihre Mitarbeiter sich Gedanken machen – gar nicht selbstverständlich bei dem Strauß von Problemen, den sie häufig mitbringen und der aufgedröselt werden muss.
Was andern der Salat, sind Susanne Albes Pellkartoffeln mit Matjes. Seit drei Monaten arbeitet sie in der Caféteria und managt bereits die Küche selbstständig. Und kocht nach ihrem eigenen Stil. Da hat Lilian Fischer nicht gesagt, dass das nicht geht. „Aber komisch geguckt“, sagt Susanne Albes und lächelt in Richtung Fischer. „Aber ich hab dich machen lassen“, gibt Fischer zurück und lacht auch. Der Matjes war ein Erfolg, und Susanne Albes Geschichte bei der Neuen Arbeit könnte ebenfalls einer werden, zumindest so lange die Maßnahme noch dauert.
Susanne Albes hat sieben Kinder, das älteste 24, das jüngste 13. Sie wird demnächst 44. Sie lebt mit ihrem Mann zusammen, der ist arbeitslos und war anfangs gar nicht so begeistert, dass seine Frau arbeiten geht. „Weil er jetzt auch mal was machen muss und nicht nur im Sessel sitzen und fernsehen kann“, sagt Frau Albes. Formale Qualifikationen bringt sie nicht mit. „Aber wer sieben Kinder groß zieht, der kann was in der Küche“, erklärt Lilian Fischer. Jetzt ist Susanne Albes regelmäßig morgens um sechs die Erste, die den Laden aufschließt, und nachmittags die Letzte, die geht. Dazwischen organisiert sie die Küche, sitzt an der Kasse, einmal die Woche macht sie Buletten aus sechs Kilo Hack, jeden Tag backt sie zwei Kuchen. Sie macht die Speisekarte und den Einkaufszettel. „Frau Albes ist hier aufgeblüht“, findet Lilian Fischer und erzählt, wie neulich nach Ladenschluss aus der Küche laut Bruce Springsteen dröhnte – „da hat Frau Albes aufgedreht.“
Da gibt es aber immer noch eine andere Seite. „Nach zwei Wochen fängt unsere Arbeit erst richtig an“, sagt Tom Hoyer, Sozialpädagoge bei der Neuen Arbeit, dann sei die erste Euphorie verflogen, „dann merken die Teilnehmer, es ist ernst.“ Dass sie pünktlich sein, dass sie bestimmte Aufgaben zuverlässig erfüllen, dass sie mit anderen zusammenarbeiten müssen.
Die Stimmung ist gut in der Caféteria. „Wir sind nicht so wie andere Chefs“, sagt Lilian Fischer, „hier ist Raum“. Raum zum Reden oder Raum für die Kartons oder Koffer voll ungeöffneter Briefe mit amtlichem Aussehen, die Sozialpädagoge Hoyer häufig auf den Tisch gelegt bekommt. Er setzt sich dann ans Telefon und versucht, das Schlimmste, Wohnungskündigung wegen ausbleibender Miete zum Beispiel, zu verhindern. Und seinen Schützlingen beizubringen, dass sie die Briefe zumindest öffnen müssten. Das Danach sei gar nicht so sehr das Problem, „es gibt ja eine Menge Beratungsstellen“, sagt Hoyer.
Wenn die Menschen die rund 75 Maßnahmen in den Einrichtungen der Neuen Arbeit – dazu zählen neben Caféterien auch Projekte mit technischer oder handwerklicher Ausrichtung – passiert haben, dann haben sie auch Bewerbungstrainings, Computerkurse und Praktika in Betrieben absolviert. 25 Prozent von ihnen sollen dann auch einen Job im ersten Arbeitsmarkt haben, das zumindest ist die Quote, die Bedingung für die staatliche Finanzierung der Träger ist. „Wir lagen auch schon mal weit drüber“, sagt Carl Arend, Geschäftsführer der Neuen Arbeit. Doch die wirtschaftliche Lage bekomme der Träger auch zu spüren.
Die Veränderungen in der Arbeitsmarktpolitik werden die Neue Arbeit zwölf ABM- und SAM-Stellen kosten. „Da brechen uns besonders Betreuungskompetenzen weg“, seufzt Arend: Auch einige der Regiekräfte sind als Maßnahmeteilnehmer beschäftigt. Dennoch, bekräftigt Lilian Fischer, „bin ich hochoptimistisch“. Ihr Lächeln scheint ein bisschen bitter, Carl Arend setzt nach: „Das ist die Einstellung, die man haben muss. Trotzdem stehen wir unter sehr starkem finanziellem Druck.“
Wie es mit Susanne Albes weitergeht, wenn ihre Stelle endet, ist heute noch unklar. Tom Hoyer und Lilian Fischer sind sicher, dass sie auf dem ersten Arbeitsmarkt gute Chancen haben wird, auch wenn die Aussichten in der Gastronomie nicht rosig sind. „Kommt drauf an, wie flexibel man ist“, sagt Sozialpädagoge Hoyer. Was für ein Job das sein wird, ist Susanne Albes jetzt gar nicht so wichtig. Hauptsache Arbeit, sagt sie, „das ist das Beste.“
Susanne Gieffers