: „Arschwackeln und Banalitäten“
Désirée Nick
Manchen gilt die Berliner Entertainerin, Diseuse und Schauspielerin, Jahrgang 1960, als „Erfinderin des Damenwitzes“. Anderen als geschmacklos. Nach einer wegen ihrer Größe von 1,80 Metern vorzeitig beendeten Karriere als Balletttänzerin, einigen Psychotherapien und einem Job als Antiquitätenhändlerin tanzt Nick schließlich im „Lido“ in Paris. Nach zwei Jahren wird sie katholische Religionslehrerin in Schmargendorf. Sie bekommt einen Sohn, spielt Theater, dreht einen Film, schreibt ihre Autobiografie und vier eigene Shows. Heute ist sie Berlins anarchisch-frivolste Bühnendiva
Interview ROLF LAUTENSCHLÄGER und ADRIENNE WOLTERSDORF
taz: „Hängetitten“ hieß eine Ihrer Shows. Es ging um den Hochadel und Mutterfreuden, Sie pumpten sich live Milch ab und ließen sich von Ihrem Pianisten mit gestohlenem Welfen-Samen derer von Hannover begatten. Überschreiten Sie gern Grenzen?
Désirée Nick: Im Vergleich zur klassichen Literatur ist doch das bisschen Arschwackeln und meine paar Pointen auf der Bühne harmlos. Banalitäten. Von der griechischen Tragödie bis Goethe, Kleist und Shakespeare, alles Mord, Betrug, Hass, Inzest, Kindesmord, Rache, Eifersucht, Neid. Gretchen ist eine Blondine, die im Kerker ihr Kind mit bloßen Händen abmurkst. Das sind die Stoffe, von denen auch die Bildzeitung lebt. Ich versuche einfach möglichst authentisch zu sein und verarbeite dabei meine Biografie.
Zum Beispiel das Kapitel mit dem Hochadel. Der Vater Ihres Kindes ist tatsächlich Heinrich Prinz von Hannover, der Bruder von Ernst-August. Das sind die ziemlich schrägen Szenen …
… die am unglaubwürdigsten erscheinen. Und umgekehrt. Wer sich über Geschmacklosigkeiten lustig macht, benötigt sehr viel guten Geschmack.
Frauen tun sowas eigentlich nicht. Sie aber nennen sich „Zofe der Zote“.
Ich mach mir nicht so viele Gedanken darüber, was die anderen denken. Das ist wie bei einem Maler. Es ist doch schon Kunst an sich, seinen persönlichen, unverwechselbaren Stil zu bilden. Ich habe eben eine Handschrift, einen persönlichen Stil entwickelt.
Wie entstehen Ihre bissig-frivolen Boulevard-Satiren?
Ich beobachte ständig. Manchmal habe ich Schübe von Kreativität, dann arbeite ich mal unter Druck, mal rein handwerklich. Das heißt, ich krame alte Aufzeichnungen über Gerichtsprozesse, Tagebücher oder andere Fundstücke, die was taugen, hervor.
Sie spielen auch Theater. In dieser Spielzeit in „Damen der Gesellschaft“ am Gorki-Theater. Warum haben Sie sich für das Gorki entschieden?
Ich hab mich überhaupt nicht entschieden. Das Gorki hat mich gefragt, das Stück stand auf ’m Spielplan. Ich kann mir meine Engagements ja nicht aussuchen. Wenn mich das Kleine Theater am Südwestkorso gefragt hätte, hätte ich auch da gespielt.
Hat es denn keine Bedeutung …?
Nein! Ich entscheide mich nicht für Engagements. Ich mache alles, was man mir anbietet.
Warum?
Ich war nie in der glücklichen Lage, wählen zu können zwischen Stücken, Theatern und Engements. Ich bin alles andere als eine Künstlerin, die sagt, ich habe 20 Drehbücher gelesen, es war nichts dabei. Die Regisseurin Adriana Altaras weiß, was ich kann, und hat mich halt besetzt. Ich bin ihr sehr dankbar.
Und die Rolle, ist die auch egal?
Mir ist das wurscht, weil ich jede Figur, die ich spiele, liebe. Das ist wie ein Kind kriegen. Mir ist wurscht, was ich kriege, ob Junge oder Mädchen, ich werde es zum Blühen bringen. In „Damen der Gesellschaft“ habe ich, neben Uschi Werner, ohnehin die Absahnerrolle mit den besten Pointen, denn ich bin die Böse, Intrigante. Das sind immer dankbarere Rollen als gute, schöne, weiche, sanfte. Amüsement bringen und die Sau rauslassen – das können nur die Figuren mit den negativen Charaktereigenschaften.
Und im richtigen Leben?
Bin ich immer wie die gute Schwester meiner Rollen. In meiner Rolle verteile ich Arschtritte, zerkratze Gesichter und vermöble Widersacherinnen. Ich wünsche, ich hätte auch im richtigen Leben den Mut zu solchen Aktionen. Ich kenne einige Leute, die es verdient hätten.
Gibt es denn Rollen, die mehr mit Ihnen zu tun haben als andere?
Meine bisher in jeder Hinsicht beste Arbeit und meinen größten Erfolg hatte ich mit dem tragischen Zweistundenmonolog „Nichts Schöneres“ von Oliver Bukowsky am Renaissance-Theater. Das war völlig gegen den Typ besetzt.
Sie sind also ein verkanntes Talent.
Was ich hier zum Ausdruck bringen möchte, ist die Hirnrissigkeit der Leute, die zehn Jahre brauchen, um mal eine Idee zu kriegen, wie man mich gefälligst besetzen kann.
Das klingt sehr verbittert.
Das ist nicht verbittert. Das ist wahr. Andere geben Interviews und lügen. Meine Qualität ist besonders große Wahrhaftigkeit. Mir ist nämlich nichts anderes übrig geblieben. Mich kotz die Lügerei an, die heute gang und gäbe ist.
Wer lügt?
Jeder muss was liefern, Quoten, Erfolge, Umsätze. Es wird immer härter, weil sich unsere Gesellschaft zusehends amerikanisiert. Für Menschen, die sich nicht in ein Raster pressen lassen, gibt es immer mehr Gefahren.
Wäre Christoph Schlingensief für Sie der ideale Regisseur?
Das wäre mein Traum. Ich liebe anarchisches Theater. Allein schon das Programm, das er sich vorgenommen hat. Das als Konzept durchzuziehen, finde ich bewundernswert. Schlingensief wirft seinen Stil der Welt zum Fraße vor, wunderbar.
Es würde zwischen zwei so eigensinnigen Persönlichkeiten doch wahrscheinlich heftig knallen?
Da wird in der Vorprobenrunde mal tüchtig gevögelt, dann ist der Dampf raus.
Obwohl Sie nie eine Schauspielschule besucht haben, stehen Sie seit 25 Jahren auf der Bühne – wenn man die Kinderauftritte in der Elevenklasse Deutsche Oper Berlin mitzählt.
Stimmt. Zum silbernen Jubiläum gibt’s ab Herbst meine neue Show „25“.
Warum klappt’s mit den ernsthaften Rollen trotzdem nicht?
Das hat damit zu tun, dass ich was sehr Spezielles bin. Durch einen ungewöhnlichen Werdegang, der mich ja auszeichnet, ist man eben leicht angreifbar.
Was stimmt denn bei Ihnen nicht?
Bei mir war immer alles verpasst, daneben, queer, dagegen und nicht ganz richtig. Das wirft eben Fragen auf. Schlussendlich konnte ich mich aber immer auf meine Komposition von Nachteilen verlassen, deren Gesamtbild ein neues Schönheitsideal ergibt.
Sie wirken damit mehr als selbstbewusst.
Ich bin ja auch Schauspielerin. Sensibel kann man zu Hause sein.
Den Satz sagen Sie in Interviews gern.
Weil er stimmt.
Braucht boulevardesque Comedy sogar Einfühlungsvermögen?
Es gibt nur wenige, die beides haben. Ich kämpfe aber sehr darum, und wenn ich mir mein Terrain irgendwo erobern konnte, dann da. Ich kämpfe nie um die Lacher, die kommen oder auch nicht. Aber ich kämpfe immer darum, die Leute zu berühren. Am meisten bewundere ich Leute, die beides können. Gott sei Dank gibt es in dieser Stadt viele tolle Künstler – etliche dümpeln leider völlig unbekannt vor sich hin.
Sind das auch alles Opfer ihrer eigenen Biografie?
Wenn man nicht zum Parkett gehört, hat man keine Chance, wie beim Film. Sie glauben doch wohl selber nicht, dass Veronika Ferres eine gute Schauspielerin ist. Zweimal hat sie jedoch den richtigen Lebenspartner gewählt.
Sind Sie neidisch?
Ich sage nur die Wahrheit. Aber das scheint ja sehr ungewohnt zu sein, denn dann fragen Sie ja immer nach.
Heißt das, Sie sind deshalb noch kein internationaler Star, weil sie im Grund ihres Herzens eine sensible, künstlerische, zarte Seele sind?
So isses. Deshalb musste ich mir alles andere anziehen wie einen Pelzmantel.
Und das hängt damit zusammen, dass Sie nach den zehn Geboten leben?
Die habe ich mit der Muttermilch aufgesogen. Ich komme ja aus einem humanistisch gebildeten, liberalen Elternhaus.
Gelten die zehn Gebote auch bei der Kunst?
Ja. Zum Beispiel habe ich vor Jahren –Sie hören ja so gerne Namen – mit Uwe Cramer am Renaissance-Theater ein Stück aus dem Boden gestampft, das ich produziert habe. Es war komplette Scheiße, deshalb hab ich das Projekt dann einfach abgesagt und dabei ein kleines Vermögen verloren. Das war mir aber lieber, als meinen Namen unter etwas zu setzen,was meinem künstlerischen Anspruch nicht entspricht.
Hätte Ihre Arbeit in Ländern mit Showtradition mehr Erfolg?
In den USA oder England bestimmt. Aber da will ich nicht hin, das sind Gesellschaften ohne soziales Gewissen, da ist zu viel Armut.
Berlin ist ja auch nicht gerade reich.
Ich will aber nirgendwo anders leben. Ich bin von den vielen Menschen, die jetzt hier aufkreuzen die einzige Urberlinerin. Noch heute lebe ich in der Charlottenburger Wohnung, in der ich auch geboren wurde.
Sechs Jahre lebten Sie zwischendurch mal in Paris und München, vier Jahre in London.
Wenn ich vor 15 Jahren meine Bekannten nach Berlin einlud, kam kein Schwein. Die sagten: Berlin? und guckten, als ob’s ein Dorf in Kasachstan wäre. Im Grunde war ich vor der Wende in London immer die Kanakentante. Früher haben die Leute sich nicht nach Berlin getraut, und heute hat der ganze Hoch- und Geldadel hier selber Wohnungen.
Ist das schlimm für Berlin?
Nein, ich begrüße das. Eine Metropole kann sich ja nur entwickeln, wenn sie offen ist. Zum Glück aber lassen die Berliner sich von Äußerlichkeiten noch immer nicht beeindrucken. Hier orientiert man sich immer noch an den Basics. Klaus Wowereit, der ein sehr geschmackvoller Mann ist, wäre sicherlich nicht so erfolgreich, wenn er als Bürgermeister nicht seinen Wurzeln treu geblieben wäre. Der trifft sich heute noch mit seinen Freundschaften von vor 35 Jahren. So wie er ist Berlin.
Manche nennen es auch provinziell.
Na, wollen Se irgendso ’n Schnösel aus Dahlem? Hier passt man sich zwar äußerlich an, aber doch nur, um innerlich unkonventionell bleiben zu können. Wenn Berlin Provinz ist, was ist dann die Provinz?
Berlin vergleicht sich doch gerade mit Paris und London.
Na, dann darf man aber nicht an den drei Opern sägen. Berlin besticht doch nicht durch Reichtum. Was hier als reich gilt, wird andernorts nicht mal als gute Ehepartie wahrgenommen. Berlin hatte nie eine so genannte gute Gesellschaft. Berliner Gesellschaft ist Ulla Klingbeil. Hier gibt’s nur die Tradition des Bulettenfressens – und ich hoffe, das bleibt so. Nur dann sind wir einzigartig. Das ist ein plebejischer, warmherziger Charme.
Sie sind befreundet mit Wolfgang Joop, Sie haben einen Sohn von einem Prinzen von Hannover. Gehören Sie hier zur Gesellschaft?
Nein, weil ich keinen adäquaten Ehemann habe. Ich bin auch deshalb gar nicht ernst zu nehmen, weil eine Gesellschaftsdame nicht malocht. Und ich bin eine Malocherin. Und als Partygirl bin ich zu alt.
Sie wirken nicht wie eine, die wirklich in Kategorien hineinpassen will.
Ich würde sehr gern verheiratet sein. Dann würde ich Berlin und der Gesellschaft mal einheizen und zeigen, was wahre Society ist. Aber bisher waren die Männer ja zu dämlich, um bei mir zuzugreifen. Dabei stemme ich mein Leben bereits als Solistin besser als so manches Paar. Wer mich kriegt, zieht in Berlin das große Los.