Der zweifelnde Marktführer

Trotz Haushaltskonsolidierung und Agenda 2010 bleibt die SPD in Berlin stärkste Kraft. Allerdings ist die Partei selbst nicht wirklich überzeugt von dem sozialdemokratischen Produkt Sparpolitik

von ROBIN ALEXANDER

Wäre die Berliner SPD eine Aktiengesellschaft, hätte es am Wochenende ein Menge Applaus für den Vorstand gegeben: Denn die Zahlen stimmen. 31 von 100 Berlinern geben laut aktueller Umfrage an, sie würden für die SPD stimmen, wäre am nächsten Sonntag Abgeordnetenhauswahl. Mehr als für Konkurrenten. Die hiesige Filiale hat zudem mehr Zustimmung als der von Gerhard Schröder geführte Mutterkonzern auf Bundesebene. Spitzenprodukt der Berliner SPD bleibt Klaus Wowereit, trotz gestrichener Tariferhöhungen wie gestrichener Schulbücher immer noch beliebtester Politiker der Stadt. Marktführerschaft in schwierigem Umfeld also.

Die SPD ist aber kein Unternehmen. Und am Wochenende fand im Palais am Funkturm keine Hauptversammlung mit enthusiasmierten Aktionären statt, sondern ein Parteitag mit SPD-üblichen Bedenkenträgern. Der Vergleich hinkt also, aber er hilft zu erklären, worum es ging: Die Führung versuchte, die SPD von dem Produkt zu überzeugen, das sie schon lange verkauft.

Das Produkt heißt Sparpolitik. Eine recht präzise Beschreibung lieferte ein Leitantrag mit dem Kerngedanken des Soziologen Ulrich Beck, der „Leistungsstaat“ müsse sich in einen „Gewährleistungsstaat“ verwandeln. Dies war der Basis so zuwider, dass sie schon vor dem Parteitag eine undeutlich konsensual formulierte Variante des Antrages erzwang. Zwei Kampfabstimmungen gab es dennoch: über das Staatsverständnis und die Privatisierung öffentlicher Betriebe. Beide Male stimmten die Delegierten gegen die bereits entschärften Vorstellungen des Vorstands. Eine dritte Kampfabstimmung konnte mit einer Kompromissformel abgewendet werden: Der Parteitag verurteilte die rot-roten Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst nicht als falsch. Und ersparte damit dem Regierenden eine Peinlichkeit.

Die SPD ist ein seltsamer Laden: Stark ist der Wunsch, auszudrücken, wie schlimm man die Sparpolitik findet. Ebenso stark aber ist die Vorsicht, die Grundlagen dieser Sparpolitik nicht zu zerstören. Schizophren wirkt das nur auf den ersten Blick. Klaus Wowereit und Peter Strieder holen sich Abstimmungsniederlagen, als sie gegen Änderungsanträge bei der Agenda 2010 und einer skeptischen Formulierung zur Privatisierung reden. Aber immer wenn es ernst wird, stimmt die Partei brav zu: Die Essentials von Schröders Agenda bleiben unverändert, weder Lohnkürzungen noch Abschaffung der Lernmittelfreiheit werden verworfen.

Diese Dialektik von widersprüchlichem Regierungshandeln und Parteigefühl hat einen Vorteil: Sie hebt die Opposition gegen die Sparpolitik schon in deren Formulierung auf. Der Abgeordnete Hans-Georg Lorenz und Gerlinde Schermer aus dem linken „Donnerstagskreis“ schimpfen wieder und wieder vom Rednerpult. Ein Gegenantrag zur Agenda 2010 wird von „der Genossin Sommer aus Spandau“ eingereicht. Sie ist die Gattin des mächtigen DGB-Chefs Michael Sommer. Konsequenzen für die Senatspolitik wird nichts davon haben.

Da sind andere überraschend erfolgreicher: Die Neuköllner Delegierten erreichen eine Mehrheit dafür, dass Sozialämter Kita-Gebühren direkt, an den Betroffenen vorbei bezahlen. Und – die Antragsteller können es selbst kaum glauben: Der Parteitag beschließt die Abschaffung des Ladenschlusses. Hinter dem Coup steckt Fritz Felgentreu, neu im Abgeordnetenhaus, ein rechter Sozialdemokrat, der sich aber nicht scheut, gemeinsam mit dem Erzlinken Lorenz ein Pamphlet über „Kapitalismus und Kapitalistenstaaten“ zu veröffentlichen. Manche sehen im 35-jährigen Altphilologen jemanden, der einmal eine Alternative zu den Zöglingen von Parteichef Strieder sein könnte.

Der Chef des Unternehmens Berliner SPD weiß, in den Statuten ist keine Erfolgszulage vorgesehen. Aber dass ihm seine Partei nicht mal die emotionalen Bezüge erhöht, darunter leidet Strieder. Die Zielgruppe der SPD definierte er am Sonnabend genau: An „Handwerkern, Maschinenführern und Verkäuferinnen“ müsse die Partei sich künftig orientieren, jenen, die weder hohe Einkommen noch staatliche Unterstützung beziehen. Von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern hat er nicht gesprochen.