Ein echtes Highwaygeschoss

Heulsuse oder Karrierefrau? Lucinda Williams klingt, als würde sie morgens ein wenig Altöl trinken. Bei ihrem Konzert in Berlin gab sie sich eher als Madonna des New Country

Es hat auch Nachteile, wenn Musiker einen Popularitätsschub erleben. Im Fall von Lucinda Williams hatte man Jahre darauf gehofft, sie einmal in einem kleinen Club zu erleben – was nie passierte –, nun kommt die Sängerin zu ihren nur drei Deutschlandkonzerten gleich in so große, ungemütliche und verrauchte Hallen wie die Berliner Universal Hall. Hier war man schon vor ein paar Wochen bei der großartig zappeligen Asiandubfoundation fast erstickt.

Die 50-jährige Singer-Songwriterin Lucinda Williams hat für ihre jüngst erschienene Platte „World Without Tears“ dermaßen viel Lob bekommen, dass sie plötzlich als das neue Frauenwunder gehandelt wird. Den Boden bereitet dafür hat wohl auch der Grammy für ihre 98er-Produktion „Car Wheels On A Gravel Road“. Dabei schreibt und singt sie schon seit mehr als zwei Jahrzehnten Songs.

1989 ließ sich Williams mit ihrer nach sich selbst benannten Platte durchaus im Fach US-Heulsusen-Countryverschnitt einordnen, gemeinsam mit Mary Coughlan und Nanci Griffith. „Lucinda Williams“ markierte einen musikalischen Höhepunkt, aber einen persönlichen Tiefpunkt. Es schien ihr an allem zu fehlen: „I want a comfortable bed, that won’t hurt my back. I want a full house and a Rock and Roll band“. Unglücklich verlangte sie „Passionate Kisses“, wusste aber nicht, ob sie wenigstens darauf ein Recht habe. Der Blues hatte sie fest im Griff – oder doch nur die Person, in die sie sich hineinimaginierte? Gleichzeitig fiel ihr Songwritingtalent auf, gekoppelt mit dieser knarzigen Stimme, die klingt, als ob die Sängerin morgens vor dem Spiegel gern mal mit dem Altöl aus ihrem alten Highwaygeschoss gurgelt.

Heute ist Heulen out, und das Glück scheint sie dann doch noch geküsst zu haben. „Flirt with me, don’t keep hurtin’ me. Be my lover, don’t play no game. Just play me John Coltrane“ fordert sie im neuen Song „Righteously“. Von den damaligen Mitmusikern, Fiddeleinlagen und Harmonikagetute hat sie sich dabei weitgehend verabschiedet, ebenso vom Seelenballast. Es geht aber auch politisch: In „American Dream“ versetzt sie sich in einen Navajo-Indianer, der nie bekommt, was ihm versprochen wurde. Die Madonna des New Country? „I believe in the American Dream. But things are never quite what they seem.“

Auf der Bühne schmeißt sie, leider erst als die Fotografen rausgeschickt sind, ihre Jacke weg und zeigt ein buntes Oberarmtatoo. Sie genießt die volle Halle augenscheinlich und hört gar nicht mehr auf, sich bei allen zu bedanken, die auch nur mit der kleinsten Taschenlampe zum Gelingen der Konzerte beitragen – ungerechterweise auch beim Mixer, der ihre Stimme zu laut abmischt.

Die Country- und Blues-Elemente schimmern zwar noch durch, auf der Bühne ist sie aber lieber Neil-Young-Fan mit knalliger Kapelle. Wenn die Band ein wenig zurücksteckt, ist man wieder ergriffen von dieser Stimme, den Liebesleidbekundungen und den einfachen Songs einer Frau, die sich sichtlich über den späten Erfolg freut. „This is the only satisfaction I get“, sagt sie und meint damit den Live-Auftritt.

Die Band ist effektiv, walzt aber die Intensität der beschaulicheren Songs fast platt. Vor allem der technisch perfekte Doug Pettibone an diversen Gitarren markiert den starken Max. Dabei singt Williams: „You don’t have to prove your manhood to me constantly“. Beim zigsten Gitarrenritt wünscht man sich die Zeit zurück, als so was verpönt war. Bei einigen der Rockmuttis und -papis, die sich gratulieren, endlich wieder etwas Echtes ohne Computer toll finden zu können, spürt man den Terror der Authentizität, den Rock-Konservatismus, und möchte zur Strafe DJ Bobo auf der Bühne haben. Dann würden alle fluchtartig die überhitzte Räucherhalle verlassen – und man wäre endlich allein mit der doch ganz wunderbaren Lucinda Williams. ANDREAS BECKER