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Archiv-Artikel

Wenn Fakten stören

Die große Zeit des investigativen Journalismus ist in den USA vorbei. Kritische Fernsehberichte laufen bei der BBC und nicht mehr in Amerika. Eine etwas zu pathetische Anklageschrift

VON THOMAS LEIF

Kristina Borjesson hatte das Gefühl, bei ihren Recherchen in das „offene Messer“ des mächtigen Zensursystems der USA zu laufen. Dieses Messer schnappe immer dann auf, wenn das Fehlverhalten von hohen Regierungsstellen oder Konzernen tangiert sei, glaubt die New Yorker TV-Produzentin, seit sie versucht hat, die offizielle Legende zum Absturz des TWA-Flugs Nr. 800 am 17. Juli 1996 zu widerlegen. Die vielen Widersprüche bei den Ermittlungen, die Informationsblockaden der Behörden, die Desinformationsstrategien des FBI und die Illoyalität ihres Auftraggebers CBS verdichten sich bei ihr exemplarisch zu dem Vorwurf der gezielten Zensur. Wer in dieses Messer laufe, sei am Ende „nicht mehr verwendungsfähig“.

Borjesson steht mit ihren Erfahrungen nicht allein. Deshalb hat sie mit zwölf weiteren renommierten US-Autoren einen Band zum „Zensor USA“ herausgeben. Das Themenspektrum reicht vom „Krieg ums Öl“ über die „gefälschte US-Wahl“ bis hin zu dem „Skandal um hormonverseuchte Milch“ und einer Serie zweifelhafter CIA-Operationen im Drogenmilieu. Die überwiegend sehr persönlich geprägten Essays werden als „ungeschminkte Insiderberichte über die derzeitigen Veränderungen im amerikanischen Journalismus“ angepriesen. Die auffallend pathetische Haltung der meisten Autoren und die Methoden des subjektiven „Storytelling“ im Stil eines Tom Wolfe illustrieren einen markanten Unterschied zu vergleichbaren Recherche-Rekonstruktionen in Deutschland. Die Herausgeberin Borjesson bekennt in ihrem Vorwort: „Ich war erstaunt und aufgewühlt über das Herzblut, den Mut und die tiefe Liebe zum Journalismus, mit denen die Beiträge geschrieben waren.“ Von der notwendigen Distanz zu den handelnden Personen und zum jeweiligen Konflikt zeugen solche Bekenntnisse nicht.

Greg Palast präsentiert ein „Nachspiel zu einer gefälschten Wahl“. Der Autor geht der Frage nach, warum zentrale Berichte zum „US-Präsidentschaftswahlbetrug“ 2000 ausgerechnet in Europa recherchiert, gedruckt und ausgestrahlt wurden. Seine Antwort: „Sie sind sehr riskant, sie verstoßen gegen die Weisheit der etablierten Ordnung und sie sind in der Produktion sehr teuer.“ Palast bemüht sich – im Gegensatz zu anderen Autoren – darum, die Ursachen für diese Defizite wenigstens einzukreisen. Ausgangspunkt seiner Kritik ist die Praxis des auch in Amerika vorherrschenden „Mainstream-Journalismus“. Sein Kennzeichen: „Lethargische Redakteure und Reporter, die zufrieden sind, sich mit den Presseerklärungen und vorgefertigten Geschichten, die ihnen von offiziellen Stellen und PR-Abteilungen gereicht werden, voll zu stopfen, sie zu verdauen und dann nachzudrucken.“

Defizite sieht Palast aber vor allem im üblichen journalistischen Produktionsdruck. Die BBC ließ ihm immerhin sechs Wochen Zeit, seine Geschichte zu entwickeln. Eine Ausnahme. Denn normalerweise erfordere eine Story, „sehr schnell sehr umfangreiche Unterlagen zu sichten und Hunderte von Telefonaten und Interviews zu führen, nicht gerade das, was in der Rein-Raus-Danke-für-das-Gespräch-Schule des amerikanischen Journalismus gelehrt wird.“

Folgt man dem Tugendkatalog für investigatives Arbeiten, so geht es nicht ohne eine entschiedene Haltung des Autors, der prominente Politiker, ihre Anwälte oder PR-Berater ungeniert als „verdammte Lügner“ bezeichnet. Zudem bedarf es einer gewissen Risikofreudigkeit. Denn nicht nur Betrüger und Wahllistenmanipulatoren präsentieren die Belege ihrer Schuld nicht auf dem Silbertablett. Anschuldigungen, Attacken und Angriffe gehören, so Palast, zum Alltag eines Reporters, der nicht nur vorgefertigte Erklärungen von Pressekonferenzen abschreibt.

Aber nicht nur mit der Kultur des Dementis und der gezielten Rufschädigung müssen amerikanische Autoren leben. Gerald Colby, einer der Vorsitzenden der US-Schriftstellergewerkschaft, macht auf das System der „begrabenen Bücher“ aufmerksam, das unter dem Begriff „Privishing“ diskutiert wird. Der Terminus ist aus den Wörtern „private“ und „publish“ zusammengesetzt und bedeutet in etwa „privat oder intern veröffentlichen“. Insider bilanzieren diese Methode so: „Wir haben das Buch so veröffentlicht, dass es spurlos untergegangen ist.“

Die Methode ist simpel, aber offensichtlich effektiv. Die Erstauflage wird so niedrig angesetzt, dass das Buch nicht überleben kann und keinen Gewinn abwirft. Weitere Auflagen sind undenkbar, zumal der Werbeetat drastisch gekürzt wird und geplante Werbereisen ausfallen. Die Begründung für diese ungewöhnliche Praxis: „Die Intention des Verlages ist die, ein Buch zu unterdrücken, das aus dem einen oder anderen Grund als zumindest potenziell ‚störend‘ oder gar ‚gefährlich‘ eingeschätzt wird“. Nur: Wem nützt das? Nach diesem Beitrag bleiben mehr Fragen als Antworten zu begrabenen Büchern.

Wenn es einen roten Faden in den persönlich gefärbten Essays gibt, dann ist es die Leidensgeschichte von Einzelkämpfern gegen die Redaktions-, Agentur- und Senderleitungen. Von journalistischer Rollendifferenzierung, funktionierenden Kooperationsmodellen und Solidarität jenseits professioneller Konkurrenz ist nicht einmal zwischen den Zeilen etwas zu lesen. Stattdessen immer wieder bittere Bilanzen, etwa von J. Robert Ports in seinem Bericht über die Nachrichtenagentur AP: „Heute exisitiert in New York kein Team für Spezialaufträge mehr und auch der Redakteur für Spezialaufträge ist abgeschafft.“ Andere Autoren berichten über ähnliche Veränderungen. Auch die gesamte ABC-Rechercheabteilung wurde nach kritischen Berichten über die CIA aufgelöst.

In diesem Sumpf präsentiert April Oliver zehn „amerikanische“ Überlebenstipps für investigative Journalisten. Sie schildert, wie man sich bei den offensichtlich verbreiteten „Untersuchungen“ der Medienunternehmen zu laufenden oder abgeschlossenen Rechercheprojekten verhalten soll. Etwa: „Mein letzter und wichtigster Rat lautet: Lebt weiter und lasst euch nicht zu viel Zeit damit.“ Ihre zum Teil derart absurden Hinweise wirken schlicht unseriös.

Auffallend ist, dass Herausgeberin Kristina Borjesson den Status quo des investigativen US-Journalismus insgesamt niedriger einschätzt als deutsche Wissenschaftler oder Experten. Trotz weniger Ausnahmen sei der „investigative Journalismus insbesondere bei den großen Fernsehgesellschaften im Schwinden begriffen. Er ist teuer, führt oft zu Klagen und kann mit den Interessen des Mutterkonzerns eines Nachrichtensenders in Konflikt geraten und/oder dessen Kontakte zur Regierung belasten.“

Die Textsammlung „Zensor USA“ bedient sich meist eines unangemessenen Pathos im populistischen Stil eines Michael Moore. Was selbst bei den hervorragenden Beiträgen fehlt, sind die klar nachvollziehbaren Recherchewege und die nüchterne Analyse der Gegenposition im Feld der jeweiligen Recherche. Die andere Seite bleibt meist stumm, die Ressource der differenzierten Auseinandersetzung mit den Gegnern ungenutzt. Das Buch vermittelt eher ein ungewöhnliches Wechselbad der Stimmungen und Gefühle der Storyteller. Die meisten Essay-Autoren agieren eben frei nach dem Motto: Zu viele Fakten hemmen den Erzählfluss.

Kristina Borjesson (Hg.): „Zensor USA. Wie die amerikanische Presse zum Schweigen gebracht wird“. Pendo Verlag, Zürich 2004, 432 Seiten, 24,90 Euro