piwik no script img

Archiv-Artikel

Wählen ist Pflicht, Klatschen nicht

Aus Mangel an Alternativen: Die FDP-Spitze darf weitermachen. Aber selten hat eine Partei so deutlich gezeigt, wie unzufrieden sie mit ihrer aktuellen Führungsriege ist. Als Generalsekretärin Cornelia Pieper spricht, wird es gespenstisch still im Saal

aus Bremen ULRIKE HERRMANN

Klatschen kann auf Parteitagen eine verheerende Waffe sein. Als FDP-Bundestagsfraktionschef Wolfgang Gerhardt gestern in Bremen über die Außenpolitik referierte, da applaudierten die Delegierten gern und spendierten am Ende sofort eine Standigovation. Da wurden selbst Gerhardts Banalitäten zur „geostrategischen Lage der Welt“ honoriert – etwa, dass „Europa ein global player werden muss“.

Ganz anders am Freitag, als Parteichef Guido Westerwelle seine programmatische Rede hielt. Da gab es nur selten Zwischenapplaus; da ließen sich die Delegierten deutlich Zeit, bis sie sich doch noch entschlossen, aufzustehen und etwas müde Begeisterung zu simulieren.

Dieses Klatschspielchen ist nicht neu, es wurde schon beim letzten Parteitreffen am Dreikönigstag in Stuttgart aufgeführt. Immer wieder wollen die Delegierten signalisieren: Sie sind unzufrieden mit Westerwelle. Aber abwählen können sie ihn nicht – schließlich ist er im Moment der einzig denkbare Parteichef. Noch nicht einmal wirklich schwächen dürfen sie ihn, also bestätigte man Westerwelle mit knapp 80 Prozent im Amt. Das sind neun Prozent weniger als vor zwei Jahren.

Genauso wenig lässt sich Generalsekretärin Cornelia Pieper ersetzen. Also musste auch sie die Klatschfolter durchstehen. Während ihrer Rede mühten sich die Delegierten nach Kräften, ihr Desinteresse kundzutun. Man plauderte mit den Nachbarn, man stand in Grüppchen zusammen. In der Aussprache danach hagelte es Kritik. Man vermisste den Blick nach vorn und monierte, dass Pieper nicht mehr einfällt, als die Litanei herabzubeten, dass das Ergebnis bei der Bundestagswahl von 7,4 Prozent doch ein „echter Substanzgewinn“ gewesen sei. Ein Delegierter wagte trotzdem, Pieper zu loben: Sie sei auf einem Weihnachtsmarkt in Berlin gut angekommen. Schweigen im Saal. Nur in den mittleren Reihen applaudierte irgendwo ein Einzelner. Und so leise es war – in dieser vollkommenen Stille schien dieses Klatschen zu explodieren. Keine andere Parteitagsszene war so gespenstisch.

Zuvor hatten die Delegierten Pieper abgestraft: Nur 60,9 Prozent wählten sie erneut als Generalsekretärin. Und schon dieses magere Ergebnis hatte den Parteivorstand viel Mühe hinter den Kulissen gekostet. Probeabstimmungen bei den westlichen Landesverbänden zeigten, dass eigentlich kaum ein Delegierter Pieper wählen wollte. Aber man musste ja.

Also entlud sich der Zorn woanders. So fiel der baden-württembergische FDP-Landeschef Walter Döring im ersten Wahlgang zum Parteivize mit nur 49,3 Prozent durch. Dabei hatte er keinen Gegenkandidaten. Und auch im zweiten Wahlgang kam er auf bescheidene 56,8 Prozent. Nicht viel besser schnitt Andreas Pinkwart aus Nordrhein-Westfalen ab, der 61,7 Prozent als Parteivize erhielt. Die Parteispitze beobachtete dieses Wahldesaster durchaus erleichtert: „Als Döring durchfiel, wussten wir, dass Pieper es anschließend schafft.“ Denn jetzt habe sich der Parteitag ja abreagiert.

Diese Sicht ist Döring nicht unbekannt. Er beschwert sich in der heutigen Ausgabe der Stuttgarter Zeitung: „Die gesamte Führungsspitze, einschließlich Westerwelle, hat es entweder einfach laufen lassen oder aktiv gegen mich agiert.“ Das werde er bei der nächsten Präsidiumssitzung ansprechen. „Mit geht es nicht um Rache, sondern um ein offenes Visier. So kann man nicht miteinander arbeiten.“

Das dürfte die Führungsspitze nicht davon abhalten, mit sich zufrieden zu sein. Man gibt zwar zu, dass der Parteitag „eher verhalten“ war: „Aber nächste Woche gewinnen wir eine Wahl.“ Umfragen zeigten, dass die FDP in Bremen die Fünfprozenthürde überspringen wird. Doch das interessiert eine Delegierte aus Baden-Württemberg noch nicht. Ihr Parteitagsfazit: „Wir sind eine langweilige Partei geworden.“