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Archiv-Artikel

Vier Schmierkünstler

aus Paris DOROTHEA HAHN

„Nehmen Sie’s mir nicht übel: Aber haben Sie tatsächlich die nötigen intellektuellen Fähigkeiten, so etwas zu organisieren?“ Richter Michel Desplan lässt seine Hände auf die beiden Mikrofone auf dem Pult fallen. Er versetzt seinen Oberkörper wieder in das hastige, energiegeladene Vor-und-zurück-Wippen auf dem Stuhl, das er nur unterbricht, um Fragen zu stellen. Mit dicht zusammengezogenen Augen schaut er streng in den Saal.

Vor ihm steht ein kleiner, drahtiger Mann, der sein Vater sein könnte. Der Angeklagte hat ein sonnengegerbtes Gesicht und die schweren, leicht gelblichen weißen Haare reichen bis zum Hemdkragen. Seine Stimme könnte einen Seesturm übertönen. André Guelfi dröhnt ins Mikrofon: „Wieso fragen Sie? Ich hatte doch fähige Mitarbeiter. Und klare Weisungen.“

Anfang der 90er-Jahre wohnte Guelfi in Genf. Er arbeitete für den französischen Mineralölkonzern Elf als Zwischenmann und verschob Millionen von einem Konto zum nächsten, manchmal mehrere hundert an einem Vormittag. Er gründete Gesellschaften und Stiftungen in Steuerparadiesen, löste sie wieder auf und übergab auch persönlich Koffer voller Bargeld. Wie jenen mit 1,9 Millionen US-Doller, den er in Luxemburg einem US-Ingenieur aushändigte. An den Namen des Ingenieurs kann Guelfi sich nicht mehr erinnern. Wofür der das Geld bekam, hat er nie gewusst: „Vielleicht hat er ja sogar dafür gearbeitet.“ Belege über die Herkunft der 1,9 Millionen hat Guelfi nicht: „Das ist nicht mein Stil, Herr Richter.“

Der 47-jährige Richter Desplan hat schon viele Finanzaffären bearbeitet. Aber eine Bühne wie diesen Prozess hatte er noch nie. An jedem Verhandlungstag sind die Pressebänke im hinteren Teil des Saals bis auf den letzten Platz besetzt. Die Medien beschreiben Desplan als „dynamischen“, „zupackenden“ und „effizienten“ Mann. Als Entdeckung.

Beiname „Sardine“

Für den Angeklagten Guelfi, der vor zwei Wochen im Gerichtssaal seinen 84. Geburtstag feierte, könnte es der letzte große Auftritt sein. Er nutzt die Gelegenheit, um von sich zu erzählen. Dass er nie einen Abschluss gemacht hat. Dass er das Einfrieren lebendiger Sardinen auf hoher See erfunden hat, womit er reich wurde und sich den Beinamen „Dédé la Sardine“ verdiente. Und dass ein russischer Geologe, mit dem er über Ölfelder verhandelte, ihn bei jedem Treffen auf den Mund geküsst hat: „Körperlich war das hart, Herr Richter.“

Richter Desplan lässt den Alten schwadronieren. „Sie haben sich wirklich für Frankreich geopfert“, sagt er zu den russischen Küssen. Zu einer Überweisung auf ein Privatkonto fragt er: „Haben Sie Geld kassiert, für das Sie keine Gegenleistung erbracht haben?“. Der Alte: „Ganz genau“. Der Richter: „Haben Sie keine Skrupel?“ Der Alte: „Aber Herr Richter! Warum sollte ich Nein sagen, wenn man mir fünf Millionen Francs gibt?“

Ein paar Ledersessel weiter sitzt ein Mann, der seine Karriere als Meister des Gesprächs unter vier Augen gemacht hat. Ebenfalls für Elf. Der 76-jährige André Tarallo. Sein dunkler Anzug wirft auch nach Stunden im Gericht keine Falte. Die Lautstärke seiner Stimme ist kontrolliert, als er sagt: „Ich habe nie mit Schwarzgeldern zu tun gehabt.“

1959 hat Tarallo die Eliteschule ENA abgeschlossen. Anschließend stieg sein Jahrgangskollege Jacques Chirac in der Politik in Frankreich auf, während Tarallo die Präsidentenpaläste in den Erdölförderländern Afrikas eroberte. Für Elf. Für jedes geförderte Barrel überwies er den afrikanischen Staatschefs einen festen Betrag. Dass Teile dieses Geldes anschließend an französische Politiker gingen, ist ihm nur „zu Ohren gekommen“.

Der Richter interessiert sich auch nicht für den Rückfluss der Millionen nach Frankreich. Er will wissen, wem die sechs- und siebenstelligen Beträge gehörten, die über Tarallos Schweizer Konten gingen. Sie waren benannt nach seinem Geburtsort und nach seiner Gattin: „Centuri“ und „Colette“. Der Angeklagte erklärt, dass er das Geld „für einen Mandanten“ verwaltet habe: „Aus afrikanischen Gründen.“ Der Richter muss lange nachfragen, bis der diskrete „Monsieur Afrique“ den Namen nennt: „Omar Bongo, der Präsident von Gabun. Er hatte Anfang der 90er-Jahre Schwierigkeiten in seinem Land. Und bat mich, sein Geld anzulegen.“ Der Richter: „Und warum haben Sie Ihrer Gattin eine Zeichnungsberechtigung für die Schweizer Konten gegeben?“ Tarallo: „Das war ein Fehler“

In besseren Zeiten luden die Chefs der Ölförderländer Tarallo zu ihren Hochzeiten ein. In Gabun war er zugleich Chef der örtlichen Elf-Niederlassung und persönlicher Ölberater von Präsident Bongo. Als die Ermittlungen begannen, schrieb der Präsident Entlastungsbriefe für Tarallo. Doch während des Pariser Elf-Prozesses geht Bongo auf Distanz. „Tarallo war mein Freund“, sagt er in einem Zeitungsinterview, „er hat mich verraten.“ Sein früherer Berater interpretiert das so: „Als Staatspräsident muss er das sagen.“

1989 kam Bewegung in die Chefetage des Elf-Turms im Westen von Paris. Präsident François Mitterrand hatte einen neuen Konzernchef berufen. Der brachte Alfred Sirven mit, einen früheren Militär. Für ihn wurde ein Posten erfunden: „Direktor für allgemeine Angelegenheiten“. Der Neue mischte sich überall ein. Auch in Afrika. Wo der diskrete Tarallo die Präsidentenpaläste betreute, verschob Sirven Geld an die bewaffnete Opposition. In Bürgerkriegsländern wie Angola, wo niemand wusste, wer am nächsten Tag im Präsidentenpalast und am Ölhahn sitzen würde, schien das sicherer.

Vor zwei Jahren schluckte Sirven den Chip seines Mobiltelefons runter, als die Polizei das luxuriöse Haus auf den Philippinen umzingelte, in dem er mit einer jungen Frau lebte. Sirven hatte es geschafft, trotz internationalen Haftbefehls vier Jahre unterzutauchen. Vor seiner Abschiebung in ein französisches Gefängnis erklärte er den Journalisten zwei Dinge. Erstens: „Ich weiß genug, um die französische Republik 20-mal zu sprengen.“ Zweitens: „Ich werde niemanden denunzieren. Weder Franzosen noch Ausländer.“

Sirven ist nicht mehr braun gebrannt wie bei seiner Verhaftung. Seine Flucht nennt er die „idiotischste Idee meines Lebens“. Er gibt zu, dass es bei Elf eine schwarze Kasse gab, dass daraus „politisches Lobbying“ finanziert wurde und dass er in den Jahren 1989 bis 1993 für die Verteilung und die Überweisung der großen Summen zuständig war. Die Öffentlichkeit munkelte seit Jahrzehnten, dass der Konzern Millionengelder aus dem Öl zum Schmieren abzweigt. Im Gerichtssaal zeigt sich, dass dieses System seinen Ursprung in der Chefetage hatte. Dort war es ein offenes Geheimnis.

Namen nennt Sirven tatsächlich nicht. Mit tiefer Raucherstimme macht er Andeutungen: „Zwei deutsche Exminister haben bedeutende Summen erhalten.“ Der Richter hakt nicht nach. Sirven: „Wertvolle Geschenke gehören im Ölbusiness dazu.“ Der Richter hört zu. Sirven erzählt von einem Diamanten für eine „Dame aus einem Fürstentum am Golf, wo wir einen sehr guten Vertrag gemacht haben“. Von einem 6-Karat-Ring „für eine Sache in Saudi-Arabien, die nicht geklappt hat“. Bloß gegen seinen einstigen Chef wird Sirven scharf. „Er war ein fantastischer Industriekapitän. Aber er ist zu weit gegangen. Deswegen sage ich Ihnen jetzt: Seine Stadtresidenz in Paris habe ich bezahlt. Aus der schwarzen Kasse von Elf. Mit seinem Wissen.“

Vor wenigen Monaten, in einem anderen Prozess, haben sich der Exchef von Elf, Loïk Le Floch-Prigent, und sein einstiger Vertrauter jeden Tag die Hand geschüttelt. Jetzt schauen sie sich nicht mehr an. Le Floch-Prigent einst mächtigster Manager Frankreichs, ist mit 59 Jahren ein kranker Mann. Er pendelt zwischen Gefängnis und Krankenhaus hin und her. An jedem Verhandlungstag schwitzt er ein hellblaues Hemd durch. Der Exchef gibt zu, dass es eine schwarze Kasse gab. Sagt, dass Präsident Mitterrand ihn damit beauftragt habe, die Gelder „ausgeglichen“ an alle Parteien im Land zu verteilen. Und rechtfertigt das „politische Lobbying“, weil man anders nicht gegen die angelsächsische Konkurrenz bestehen könne: „Das ist ein Kampf von David gegen Goliath.“ Um Details will er sich nie gekümmert haben. „Die Küche habe ich meinen Mitarbeitern überlassen.“

Le Floch-Prigent ist der einzige Elf-Chef, der vor Gericht ein wenig Reue zeigt. Die 2,9 Millionen Euro für seine Scheidung aus der schwarzen Kasse und die Gartenmöbel von der Kreditkarte des Konzerns bedauert er. Als „Realitätsverlust. Ich war von Höflingen umgeben. Mir wurde jeder Wunsch von den Augen abgelesen.“ Aber persönliche Bereicherung, eine Stadtresidenz auf Konzernkosten, wie Sirven behauptet, bestreitet der Exchef.

Schweigen über Chirac

Je schärfer die Konfrontation der beiden Männer wird, desto mehr droht Le Floch-Prigent mit Enthüllungen. Zweimal erwähnt er den Abgeordneten aus der Corrèze, der Elf um Finanzen für ein kränkelndes Textilunternehmen in seinem Wahlkreis gebeten hat. Zweimal bricht im Gerichtssaal Schweigen aus. Alle wissen, dass Staatspräsident Chirac gemeint ist. Der Richter hakt nicht nach. „Sirven schützt Leute, die er aus der Elf-Kasse finanziert hat“, sagt der Exchef, „ich kenne einige Namen. Soll ich sie nennen? Manche waren damals an der Macht. Manche sind es heute.“

Der Richter lässt ihn auflaufen. Der Exchef gibt auf. „Wenn man ein sicheres Leben haben will, ist es vielleicht besser, jetzt nicht weiter zu gehen“, bremst er sich.

Richter Desplan, der „dynamische“, „zupackende“ und „effiziente“, widerspricht dem Angeklagten nicht. „Die Ermittlungen in dieser Angelegenheit sind abgeschlossen“, sagt er, „da kann das Gericht nicht weitergehen.“