: Widerstand für immer
Denkmal für die im Holocaust umgekommenen Verwandten: Der uruguayische Autor Mauricio Rosencof stellt in Hamburg seinen Roman „Briefe, die nicht ankamen“ vor
Nicht zufällig führt die Biografie Mauricio Rosencofs, die im Jahr 2000 in Uruguay erschien und zum bestverkauften Sachbuch des Jahres avancierte, im Titel einen Plural: Las vidas de Rosencof –was in etwa zu übersetzen wäre als „die Leben des Rosencof“.
Denn zu vielfältig ist die Lebensgeschichte dieses Mannes, der am Sonntag in der Hamburger Werkstatt 3 liest, als dass sie auf einen Begriff gebracht werden könnte: Als Sohn einer polnisch-jüdischen Einwandererfamilie wurde er 1933 in einer Kleinstadt Uruguays geboren.
Der Vater Isaak war Mitglied der Schneidergewerkschaft und näherte sich wie viele unbegüterte Juden der kommunistischen Partei an. Unter seinem Einfluss wurde Mauricio Redakteur der kommunistischen Parteizeitschrift El Popular.
Parallel schrieb Rosencof erste Theaterstücke und wurde schnell zu einem der bekanntesten Dramatiker des Landes. Seine Bekanntschaft mit Raul Sendic brachte ihn in Kontakt mit der MLN-Tupamaros, jener legendären Stadtguerilla, die ein Jahrzehnt lang Ausstrahlung weit über Uruguay hinaus hatte. Rosencof wurde zum politischen Verantwortlichen der Organisation. 1972, gleich zu Beginn des Militärputschs, wurde er verhaftet, die Tupamaros brutal zerschlagen. Es folgten elfeinhalb Jahre barbarischer Haft – fast die gesamte Junta-Zeit. Nur mit seinem Zellennachbarn Fernández Huidobro, heute Senator der Republik, konnte er sich über ein Klopfalphabet durch die Mauer verständigen.
Zeugnis von dieser Zeit legt das Buch Wie Efeu an der Mauer ab, das beide gemeinsam nach ihrer Haftentlassung 1985 schrieben. Aus der literarischen Verarbeitung dieser Erfahrung entstand später Rosencofs Roman Der Bataraz, in dem sich Erinnerung, Phantasie und Halluzination zu einem dantesken Universum verdichten.
Mit fast 70 Jahren wandte sich Rosencof, inzwischen einer der anerkanntesten Schriftsteller Uruguays, seiner Kindheit und dem Schicksal seiner Verwandten zu, die bis auf eine Schwester des Vaters Opfer des Holocaust wurden.
In miteinander verwobenen Erinnerungssträngen lässt er die Welt seiner frühen Jugend wieder auferstehen und gibt den in Polen zurückgebliebenen Verwandten in Briefe, die nicht ankamen eine Stimme. Die Ghettoisierung der jüdischen Einwohner von Belzice, einem Dorf bei Lublin und ihre Deportation in die Vernichtungslager zeichnet er darin nach, unterbrochen von Erinnerungssplittern, in denen Mauricio seinem Vater in ebenfalls fiktiven Briefen aus dem Kerker schreibt und nach seiner Familie befragt.
Bei seiner ersten Europareise 1964 hat Mauricio Rosencof Auschwitz und das Denkmal des Warschauer Ghettoaufstands besucht. In einem der „Briefe“ schreibt er jetzt: „Da habe ich zwei Steine aufgenommen, Vater, zwei Felsbröckchen, und für dich, für mich, für Mama, für alle, Vater, habe ich sie auf einer der Stufen … niedergelegt und gedacht, jeder Schritt, jeder Stein, jeder Widerstand, Vater, war und ist für immer.“
Theo Bruns
Mauricio Rosencof: „Briefe, die nicht ankamen“. Edition Köln 2003; 130 Seiten, 13,90 Euro. Michael Rosencofs einzige Lesung in Deutschland findet am Sonntag, 21. März, um 18 Uhr in der Werkstatt 3, Hamburg statt