: Die Stunde der Spürnasen
AUS BAGDAD KARIM EL-GAWHARY
Er hat diese „Die Welt steht mir offen!“-Ausstrahlung, wie sie nur ein 20-Jähriger haben kann, bei dem alles wie am Schnürchen läuft. Kurz nachdem die US-Truppen vor einem Jahr den Irak erobert hatten, war der junge Iraker Ali al-Braih zusammen mit seinem Vater aus Neuseeland zurückgekehrt. Kein Zweifel, Ali weiß, wie er Geld verdienen kann. Gerade hat er im Bagdader Nobelviertel Arasat einen Laden eröffnet, in dem er Motorroller feilbietet. Blitzblank warten die Roller auf Kundschaft. Und die wird ganz gewiss kommen: Weil seit Kriegsende vollkommen unkontrolliert eine halbe Million Autos importiert wurde, dreht sich auf Bagdads Straßen kein Rad mehr – außer natürlich die von Alis koreanischen Zweirädern. Das mit den Rollern sei nur ein Hobby, weil er die eigentlich selber gerne fährt, erklärt er, und ergänzt: „Es gibt genug Geld in Bagdad, und die Leute sind bereit, für gute Dinge ihr Geld auszugeben.
Jeeps und Mobiltelefone
Alis Spürsinn ist zu gut geschärft, als dass er sich allein auf irakische Geldbörsen verlassen würde. Also handelt er zusammen mit seinem Vater mit allem, was die US-Truppen gebrauchen können. Vorzugsweise vermietet er ihnen japanische Jeeps. Und weil das Wetter heiß ist, leihen sie der US-Armee auch LKW mit Kühlaggregaten, damit deren Lebensmittel nicht verderben. Und dann ist da noch der 90-Millionen-Dollar-Vertrag, an den Alis Vater herankommen will. Ein Auftrag, den die US-Besatzungsverwaltung ausgeschrieben hat, um ein Mediennetzwerk für Radio und Fernsehen aufzubauen. Alis Vater, der eine Baufirma leitet, hofft auf den Zuschlag.
Außerdem will Ali einen Laden mit Zubehör für mobile Telefone eröffnen. Ein weiteres potenzielles Eldorado, da die Iraker nun erstmals in den Genuss eines Mobilfunknetzes kommen. Und noch etwas. Im Moment richtet Ali ein Computerbüro ein, in dem Iraker in die Fährnisse von Microsoft-Programmen eingewiesen werden sollen – natürlich gegen Bezahlung. Seit dem Ende des UN-Embargos boomt der Markt für alles, was mit Computern zu tun hat mit Preisen wie im Duty-Free-Staat Dubai. Ohne Überwachung der Grenzen hat sich ganz Irak selbst in einen großen Duty-Free-Shop verwandelt. „Jeder hat im Leben eine Chance. Der Irak nach dem Krieg ist meine“, fasst Ali seine Philosophie zusammen.
Als 1991 die US-Operation „Wüstensturm“ zur Befreiung Kuwaits tobte, flüchtete Alis Familie von Basra nach Bagdad und versuchte, einen Parfümladen zu eröffnen. „Aber wer konnte in Zeiten der UN-Sanktionen schon 100 Dollar für ein Fläschchen feinsten Wässerchens ausgeben“, erinnert sich Ali, der damals im Laden aushalf. Übrigens demselben Laden, in dem heute seine Motorroller stehen. Die wirken neben den gläsernen verspiegelten Regalen, in denen einst die Parfümfläschchen ausgestellt waren, tatsächlich etwas fehl am Platze. Die Familie schloss damals den Laden und flüchtete über Jordanien nach Neuseeland, wo sie eingebürgert wurde. Und Alis Vater handelte über Kuwait weiter mit dem Irak.
Eine Million verdoppelt
Nach dem Fall Saddams schlug seine Stunde. Als der Manager einer kuwaitischen Firma in Bagdad tödlich verunglückte, wurde Alis Vater dorthin geschickt, um die dort eingesetzte eine Million Dollar zurückzuholen. Das tat er nicht sofort. Stattdessen investierte er sie während der Nachkriegstage und verdoppelte die Summe. Prompt folgte ihm sein Sohn nach Bagdad. Die Mutter sitzt unterdessen mit Alis kleineren Geschwistern weiter in Neuseeland. „Immer wenn eine Bombe explodiert, ruft sie panisch an“, erzählt Ali. „Ich sage ihr dann, dass ich keine Ahnung habe, schließlich habe ich keine Zeit, die Nachrichten zu hören.“ Trotzdem sind seine Kriegserfahrungen sehr direkt. Am Mittag ist er vom Bagdader Flughafen gekommen, wo er die Allradfahrzeuge an die Amerikaner verleiht. „Als die Guerilla am Morgen den Flughafen wieder einmal mit Mörsern beschossen hat, bin ich lieber in die Stadt zurückgefahren“, berichtet er.
Ali ist einer der wenigen Reisenden zwischen den irakischen Welten. Anders als die meisten Iraker gelangt er auf die US-Stützpunkte und anders als die amerikanischen Soldaten kann er unbehelligt durch Bagdad, Basra oder Mossul fahren. Wer versucht, ihn auf seinem Satelliten-Handy anzurufen, trifft ihn alle paar Stunden in einem anderen Teil des Landes an. Um seinen Hals hängen die verschiedenen „batches“, kleine eingeschweißte Plastikausweise, die die Amerikaner so lieben und mit denen sich alle möglichen US-Sesams öffnen: einer für den Republikpalast, dem Sitz der US-Besatzungsverwaltung; einer für den Flughafen, der von den Amerikanern als Airbase und Nachschubtor genutzt wird; und einer für die Militärbasis al-Balad, im Norden Bagdads, einem von fünf Stützpunkten, auf dem sich die Amerikaner derzeit für die Zeit nach der Übergabe der Souveränität an die Iraker einrichten. „Damit komme ich überall hinein, und wenn es Verzögerungen gibt, dann zücke ich meinen neuseeländischen Pass und spreche Englisch mit neuseeländischem Akzent – das hilft immer.“
Tatsächlich unterscheidet den 20-jährigen Iraker wenig von den gleichaltrigen US-Soldaten. Sie sprechen die gleiche Sprache, hören die gleiche Musik und verstehen sich meist auf Anhieb. Regelmäßig lässt sich Ali vom amerikanischen Friseur am Flughafen seine Frisur trimmen. „Die meisten sind nette Jungs wie du und ich.“ Nur manchmal, wenn es ums Geschäftliche geht, wird Ali sauer, etwa wenn die Amerikaner bei der Rückgabe der gemieteten Autos nicht für die entstandenen Schäden aufkommen wollen. „Hier auf eurem Stützpunkt habt ihr das Sagen, aber wenn ihr nach Bagdad kommt, sagen wir, wo es langgeht“, wechselt er kurz die Fronten. Aber solche Episoden werfen Alis Optimismus nicht aus der Bahn.
Schnaps ist ein Risiko
Ganz anders Abu Sumer, dessen Geschäft zwar noch gut läuft, aber mit einem Risiko behaftet ist. Er sitzt verbittert in seinem Laden, nur wenige Meter von Alis Motorrollern entfernt. Auf den ersten Blick wirkt sein Geschäft wie ein Tante-Emma-Laden, mit dem üblichen Sortiment aus Waschpulver, Lebensmitteln, Windeln und Getränken. Nur ein Regal ganz hinten in der Ecke verrät die wahre kommerzielle Bestimmung. Dort stehen Whiskey, Wodka, Flaschen mit Dattel-Arrak und Paletten mit Bier.
Der Verkauf von Hoch- und Niedrigprozentigem macht gut zwei Drittel des Geschäfts aus. „Die restlichen Lebensmittel dienen als Tarnung“, berichtet der 52-Jährige. Er hat Angst vor Anschlägen militanter Islamisten, die sich seit dem Sturz des säkularen Saddam-Regimes so befreit fühlen, dass sie mit handfesten Methoden ein Alkoholverbot durchzusetzen suchen. Meist zünden sie die Alkoholläden nachts an, gelegentlich kommen sie aber auch tags, werfen eine Handgranate oder feuern eine Panzerfaust in den Laden. Abu Sumer weiß von mindestens 35 Toten. Seit Ende des Krieges sollen bereits landesweit 200 Alkoholläden geschlossen worden sein. „Aber wo soll ich mich beschweren“, fragt er, „bei Ajatollah Chomeini?“
Es sei schon früher gelegentlich vorgekommen, dass Alkoholläden attackiert wurden, aber Saddams Polizei wurde sofort zum Schutz ausgeschickt, erinnert sich Abu Sumer. „Jetzt sind die Polizisten hauptsächlich mit ihrem eigenen Schutz beschäftigt“, spottet er. Und keiner habe erwartet, dass nach dem Krieg die islamistische Strömung so stark werden würde, sagt der Christ Abu Sumer.
Muslimische Heuchelei
Was ihn besonders ärgert, ist die Heuchelei in der irakischen Gesellschaft: „Wenn es im ganzen Land 500 Christen gibt, die Alkohol verkaufen, dann gibt es eine Million Muslime, die ihn trinken.“ 95 Prozent seiner Kunden seinen jedenfalls islamischen Glaubens.
Bis jetzt habe er noch keine Drohung erhalten, erzählt Abu Sumer, aber wenn das passiert, würde er sich ernsthaft überlegen, das Ganze aufzulösen. Einige Gedanken hat er sich bereits gemacht: „Vielleicht mache ich dann einen Laden für Elektrogeräte auf“, sagt er, die laufen bei dem großen Nachholbedarf der Iraker offenbar gut.
Sollte sich die islamistische Strömung durchsetzen, wäre zumindest der strahlende Ali wahrscheinlich ganz pragmatisch. Statt Jeeps an die Amerikaner zu vermieten, könnte er dann einen Laden für modische Kopftücher eröffnen. Aber so weit schweifen dessen Geschäftsgedanken noch nicht. Im Moment ist er einfach zu beschäftigt, seinen Landsleuten für ihr gutes Geld erst einmal Motorroller, Handys und Computerwissen anzudienen.