: Druck der Straße und der USA
aus KAIRO KARIM EL-GAWHARY
Freitags auf einem kleinen Fußballplatz in Kairo: Eine Gruppe von ägyptischen Militäroffizieren, Anwälten und Geschäftsleuten beobachtet stolz ihre Söhne beim wöchentlichen Spiel. Aber keiner ist so ganz bei der Sache. Seit Wochen gibt es bei den Eltern nur ein Thema: die Notwendigkeit politischer und wirtschaftlicher Reformen. „Wenn wir noch länger warten und es nicht tun, dann machen es die Amerikaner für uns“, sagt einer der Väter aufgebracht und erntet zustimmendes Nicken. Könnte George W. Bush am Platzrand Mäuschen spielen, ihm hätte die Diskussion sicherlich gut gefallen.
Nachdem die US-Armee im Irak nicht die versprochenen Massenvernichtungswaffen gefunden hatte, war Washington auf einen neuen Rechtfertigungskurs eingeschwenkt: Der Krieg sollte doch wenigstens dazu führen, dass sich eine von Despoten regierte Region in einer Art Dominoeffekt endlich in ein demokratisches System verwandelt. „Die Etablierung eines freien Irak im Herzen des Nahen Ostens wird sich als Scheidepunkt für eine globale demokratische Revolution herausstellen. Die Erfolgsnachrichten werden Damaskus und Teheran zeigen, dass eine Zukunft in Freiheit bevorsteht“, hatte Bush im November verkündet. Die dortigen Regime, so Bush, könnten sich fortan aussuchen, „ob sie als jene in Erinnerung bleiben, die die Reform angeführt oder behindert haben“.
Tatsächlich hat sich das Wort „Islah“ – „Reform“ – inzwischen allerorten zu einem arabischen Lieblingswort entwickelt und das nicht nur wegen Washingtons nachträglicher Kriegsrechtfertigung, sondern auch weil viele der 300 Millionen Araber es nicht mehr einsehen, dass ihre Staaten zusammen ein geringeres Wirtschaftsprodukt haben als Spanien und von Dinosaurier-Regimen regiert werden. „Die arabischen Regime stehen unter einem doppelten Druck: den der USA und den der eigenen Straße“, glaubt der ägyptische Politologe Mohammed Sid Ahmed, „sie sind zum Handeln gezwungen.“ Wobei der doppelte Druck kontraproduktiv sein kann. Syrische Reformer fürchten beispielsweise, dass ihre lange vor dem Irakkrieg formulierten Forderungen durch die neue Interessengleichheit mit Washington an Glaubwürdigkeit verlieren. „Die Amerikaner haben einfach unseren Diskurs entführt“, beschwert sich etwa ein Filmemacher.
Auch im Ergebnis der Reformbemühungen wären sich beide Seiten, abgesehen von formalen Kriterien, kaum einig. Würden Ägypten oder Jordanien tatsächlich demokratischen Prinzipien folgen, wären die diplomatischen Beziehungen zu Israel das erste Opfer, dramatisch verschlechterte Beziehungen zu den USA kämen zeitgleich. Tatsache jedoch ist, wie es Sid Ahmed formuliert, „dass die arabischen Regime in einem Dilemma stecken: Nicht zu reformieren bedeutet Selbstmord, zu viel zu reformieren endet im Machtverlust.“ So ist es nur konsequent, dass trotz allgegenwärtiger Diskussion die umgesetzten Reformen eher bescheiden sind. In Saudi-Arabien werden Menschenrechtskongresse abgehalten, Lokalwahlen angekündigt, und neuerdings gibt es sogar weiblich Fernsehansagerinnen. Andererseits wurden erst diese Woche wieder fünf prominente Reformer festgenommen, die ihre Namen unter eine Petition für politische und wirtschaftliche Änderungen gesetzt hatten. Ein Schritt, darauf angelegt, dass die Reformdiskussionen im Königreich nicht zu laut und zu frech werden.
In Ägypten fand vergangenes Wochenende ein viel beachtetes Treffen mit arabischen Intellektuellen und Geschäftsleuten aus 18 Ländern in Alexandria statt. In einer neuen Offenheit wurden die heimischen Regime dort kritisiert. Die so genannte „Alexandria-Erklärung“ fordert freie Wahlen, eine Beschränkung der präsidialen Amtszeiten und eine Eliminierung der Notstandsgesetze und Militärgerichte. In der arabischen Presse wurde die Erklärung ausführlich dokumentiert und diskutiert.
Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak sprach übrigens als prominentester Redner auf dem Kongress, und so mancher hatte gehofft, er könnte bei dieser Gelegenheit die seit 23 Jahren geltenden Notstandgesetze aufheben. Dazu kam es nicht. In der gegenwärtig prekären wirtschaftlichen Lage hat die Regierung Angst, dass sich die Brotunruhen von 1977 wiederholen könnten. Die Notstandsgesetze wären in einem solchen Fall das wichtigste Instrument für die Sicherheitskräfte, die Situation zu kontrollieren. Und gerade im Bereich der Sicherheit empfangen die arabischen Regime aus Washington sehr unterschiedliche Signale. Menschenrechte und Demokratie können im von den USA geforderten Antiterrorkampf mitunter lästig sein.
Der Politologe Sid Ahmed meint, die arabischen Regime könnten sich dem Reformdruck nicht entziehen. Doch „die Reform hat einfach zu viele Köche mit zu unterschiedlichen Interessen, um das Ergebnis vorauszusehen“, folgert er.
Sein Politologenkollege in Bagdad, Gailan Ramis, gibt ihm Recht. „Die Amerikaner“, sagt er, „haben eine zu mechanische Vorstellung von Politik. Sie dachten, alle irakischen Widersprüche würden mit Saddams Sturz beendet sein und dann werde der Irak zum leuchtenden Beispiel für eine Demokratie, das zum Sturz anderer nahöstlicher Regime führe. Ein Automatismus, der eher amerikanischem Wunschdenken als der Realität entspricht.“