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Archiv-Artikel

„Da gibt es keine Kompromisse“

Er ist Mitbegründer der „Initiative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“, ein SPD-„Abweichler“: Herbert Schui, Hochschullehrer in Hamburg, erklärt sich

Interview: MARCO CARINI

taz: Herr Schui, wie lange sind Sie schon Mitglied der SPD?

Herbert Schui: Seit 1963.

Und wie lange noch?

Wir werden sehen, wie das Parteiausschlussverfahren ausgeht, das ich mir als Mitbegründer dieser Initiative eingehandelt habe. Von selber gehen werde ich jedenfalls nicht – ich wüsste auch nicht, warum.

Immerhin spielen Sie und Ihre Mitstreiter mit dem Gedanken, eine Linkspartei in Konkurenz zur SPD zu gründen.

Wer eine neue Partei aufmacht, kann natürlich nicht in der SPD bleiben. Aber solange wir keine Partei gründen, gibt es eben auch keinen Grund, die Partei zu verlassen. Wenn die SPD-geführte Regierung eine Politik macht, die im offenen Widerspruch zu ihrem Parteiprogramm steht, gibt es doch eigentlich eher einen Grund, einen Parteiausschluss der Initiatoren einzuleiten.

Also nicht Schui, sondern Schröder raus.

So könnte man es zuspitzen.

Der Initiatorenkreis besteht aus mehreren bayerischen IG-Metall-Funktionären und einem Hamburger Wirtschaftswissenschaftler – wie ist man zusammengekommen?

Ich habe in der bayerischen IG-Metall oft Seminare gemacht, so dass ich die anderen Iniitiatoren schon viele Jahre kenne. Wir haben in diesem Kreis schon sehr lange überlegt, was man unternehmen könnte. Bereits mit dem Schröder-Blair-Papier von 1999 deutete sich die Wende an. Alles was dann gekommen ist – vom Bündnis für Arbeit bis hin zur Agenda 2010 – zeigt, dass die SPD den Kurs ihres Leipziger Programms von 1998 im Eiltempo verlässt. Wir hatten das Gefühl, jetzt handeln zu müssen.

Die SPD behauptet, unter den Vorzeichen von Globalisierung und leerer Kassen gebe es nur im Detail Alternativen zur Politik der Agenda 2010 .

Das ist von Grund auf falsch. Dass die Globalisierung diese Formen annimmt, hat die deutsche Regierung mit zu verantworten. Und die Kassen sind leer, weil die Regierung die Gewinne weniger denn je besteuert. Grundfalsch. Um aus der Misere rauszukommen, brauchen wir zunächst eine höhere Staatsverschuldung und eine andere Verteilung des Volkseinkommens. Zudem muss es heißen: Ohne mehr Nachfrage, ohne mehr Massenkonsum keine Vollbeschäftigung und kein Sozialstaat.

Gibt es reale Alternativen zum neoliberalen Wirtschaftsmodell?

Wir fordern: Keine Senkung der Lohnnebenkosten, keine Senkung der Zahlungen der Unternehmer an die gesetzlichen Sozialversicherungen, dagegen ein Steuersatz auf Gewinne und keine Wachstumsrate der realen Löhne, die unter der Produktivitätssteigerung liegt. Alles, was die Bundesregierung macht, läuft aber auf eine Verminderung der verfügbaren Einkommen gerade bei den durchschnittlich und unterdurchschnittlich verdienenden Menschen hinaus. Wir müssen die Belastung der Unternehmen mit Steuern erhöhen. Wir haben da viel größere Spielräume, als viele glauben.

Es sind fast zeitgleich zwei Initiativen für eine Sammlung jenseits von Rot-Grün auf den Markt getreten: Was prägt das Verhältnis zur „wahlpolitischen Alternative 2006“: Konkurrenz oder Kooperation?

Kooperation! Die Gemeinsamkeiten liegen in der alternativen politischen Perspektive. Wir werden uns im Juni zusammensetzen und schauen, wie eine Zusammenarbeit aussehen kann. Wir müssen gemeinsam darüber diskutieren, wie die politische Alternative zum Erfolg gebracht werden kann.

Alle Versuche, in Deutschland eine starke Linkspartei zu gründen, sind bislang gescheitert – was wollen Sie anders machen?

Man muss es erneut probieren, weil wir eine neue Situation haben: Massenhafte Austritte aus der SPD und einen massiven Verfall der Zustimmung zu ihr bei den Wählern.

Im Osten ist das Terrain durch die PDS besetzt – soll eine Wahlalternative sich auf den Westen beschränken oder die PDS gleich mit abwickeln?

Eine solche Initiative wird sich im Westen aufbauen, wo die PDS kein Bein auf den Boden bekommt. Eine mögliche Perspektive ist, dass aus unserer Initiative eine Linkspartei des Westens entspringt und die PDS eine Linkspartei des Ostens bleibt.

Man wird das Gefühl nicht los, Sie werden von Zeitungen hochgeschrieben, die vor allem eines wollen: Der SPD zu schaden und sie zu schwächen, um wieder einer konservativen Regierung an die Macht zu verhelfen.

Beim Hamburger Abendblatt und der gesamten Springer-Presse gibt es schon Freude, dass die SPD diese Probleme hat. Aber diese Freude mischt sich mit Bedenken, weil es von der Sache her ja um die Bewahrung des traditionellen Sozialstaates geht. Aber die entscheidende Frage lautet: Wäre eine CDU-geführte Regierung hinsichtlich Sozialstaat und Beschäftigung schlimmer als eine SPD-Regierung? Die Antwort lautet: nein. Und auch die Frage, ob wir der SPD bei einer Wahl möglicherweise die Prozente abnehmen, die ihr zu einem Wahlerfolg fehlen, lässt sich mit einem eindeutigen Nein beantworten. Die SPD wird die nächste Bundestagswahl so oder so verlieren. Deshalb macht man hier nichts mehr kaputt, was die Parteispitze nicht schon selber kaputtgemacht hat.

Die Initiativen entwickeln sich von oben nach unten – ausgehend von einem kleinen Initiatorenkreis soll nun in die Fläche gegangen werden. Kann das funktionieren?

Darüber werden wir in den nächsten Wochen verstärkt reden müssen. Dieser Sprung ist enorm schwierig. Ob er gelingt, hängt davon ab, ob genügend Menschen mit politischer Erfahrung zu uns stoßen, die seriös mitarbeiten. Immer, wenn sich eine neue Gruppierung bildet, tauchen viele kleine Lenins auf, die ein Betätigungsfeld suchen und so eine Initiative zum Scheitern bringen können. Da muss man aufpassen.

Wovon konkret hängt es ab, ob zur Bundestagswahl 2006 eine bundesweite Linkspartei antritt?

Der zentrale Knackpunkt ist und bleibt die Agenda 2010 in ihrer Substanz. Wir wollen den Sozialstaat und soziale Gerechtigkeit verteidigen, die Agenda will beides beseitigen. Da gibt es keine Kompromisse.

Ihre Prognose: Kandidiert eine linke Wahlalternative bei der nächsten Bundestagswahl?

Die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf dem Wahlzettel steht, liegt meiner Einschätzung nach bei über 50 Prozent. Es gibt auch außerhalb unserer Initiative zu viele Menschen, die über eine solche Wahloption nachdenken. Da würde es mich wundern, wenn es nicht zumindest versucht würde.