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Archiv-Artikel

„Wir diskutieren hier das Falsche“

Die Schaubühne debattiert im Streitraum „das unerträgliche Kopftuch“: Immer wieder irrlichtern die Argumente von Terrorismus über Leitkultur bis hin zur Modernisierung des Islam. Nur eines fehlt: Die Idee einer demokratischen Lösung

Von AW

Dass es notwendig ist, diese Debatte noch intensiver zu führen, zeigt schon ein Saalverweis am Amtsgericht in Tiergarten. Der Richter hatte vergangene Woche der Mutter eines Angeklagten, einer Muslimin, verboten, im Gericht ihr Kopftuch zu tragen. Die Frau verließ daraufhin gezwungenermaßen die Verhandlung.

Dass es um das Kopftuch mittlerweile mehr Verwirrung und Intoleranz gibt als noch vor einigen Jahren, das zeigte auch die vom Publizisten Mathias Greffrath moderierte Diskussion in der sonntäglichen Reihe „Streitraum“ der Schaubühne am Lehniner Platz. „Wir diskutieren das Falsche“ mahnte wiederholt der türkischstämmige Münchner Schriftsteller Zafer Senocak. „Ich wundere mich, dass wir zufrieden sein können, mit einer so einfachen Lösung wie dem Verbot des Kopftuchs.“ Die iranische Juristin und Theologin Hamideh Mohagheghi, der als einziger Frau auf dem Podium die undankbare Rolle zufiel, sowohl die Sicht der muslimischen Migrantinnen als auch der überzeugten Kopftuchträgerinnen zu vertreten, plädierte für einen liberalen Umgang in der erhitzten Textil-Debatte. „Jede Frau sollte das Recht haben, darüber selbst zu entscheiden.“ Dass das Kopftuch allerdings auch Zeichen der Unterdrückung muslimischer Frauen sei, sei wahr, aber nicht allgemein gültig, betonte sie.

Immer wieder kreiste die Diskussion um die Frage, von welchem Islam überhaupt gesprochen werden kann und muss. Einig war sich das Podium, dass es sich in der Debatte um einen kulturellen und nicht um einen religiösen Konflikt handelt. Der dritte Gast, der Publizist Konrad Adam (Ex-FAZ), provozierte gleich zu Beginn mit der Feststellung, dass er sich vor Gericht lieber nach dem BGB als nach der Scharia verurteilen ließe und daher eine Richterin mit Kopftuch wegen Befangenheit ablehnen würde. Adam, der mit seiner wertkonservativen Haltung wohl die Ängste der gebildeten, aber in Sachen Islam und islamischer Kultur völlig uninformierten deutschen Bevölkerung repräsentierte, machte aus seinem Weltbild kein Geheimnis: Hier aufgeklärtes, modernes Christentum. Dort gewalttätiger, mittelalterlicher Islam. Folgerichtig mahnte Senocak an, dass in der Integrationsdebatte nicht nur die Ausländer, sondern auch die Mehrheitsgesellschaft gefordert seien. „Der Islam muss sich der Moderne stellen, aber wir müssen demokratisch streiten.“

Nach rund anderhalbstündiger Debatte war leider die entscheidende Frage noch nicht gestellt worden. Die kam zum Glück aus dem Publikum: Wie kann und wie muss der Staat gewährleisten, dass eine kopftuchtragende Lehrerin sich insbesondere den muslimischen SchülerInnen gegenüber wertneutral verhält? Wie sichert er die negative Religionsfreiheit? Lösungen gab es vom Podium nicht. Aber wieder wurde deutlich: Der Weg ist das Ziel. Wir müssen uns miteinander beschäftigen. AW