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Archiv-Artikel

Es war nicht bloß ein Mob

Brandstiftungen und Übergriffe auf Serben, die letzte Woche in Prizren verübt wurden, waren wohl organisiert. Deutsche KFOR-Truppen wichen zurück

„In einer Nacht ging die Arbeit von vier Jahren zu Bruch“

AUS PRIZREN ERICH RATHFELDER

Vor noch wenigen Tagen bildete das historische Zentrum von Prizren ein Panorama, das die Stadt zu einer der schönsten der gesamten Region machte. Neben der Sinan-Pascha-Moschee mit ihrer eindrucksvollen Kuppel standen die orthodoxe Kathedrale und das Kloster zum heiligen Erzengel aus dem 14. Jahrhundert. Dahinter, an den Hang geschmiegt, der zur alten Feste aus byzantinischer Zeit führt, sah man die durch verwinkelte Gassen verbundenen serbischen Häuser, die von den mächtigen Mauern der Erlöserkirche überragt wurden.

Heute sind die Fensterhöhlen des Klosters schwarz von Ruß, das Innere ist ausgebrannt. Von den meisten der serbischen Häuser an dem Hang sind nur noch einige Mauerreste zu sehen. Die steinernen Mauern der Kathedrale stehen zwar noch, doch das Dach ist eingestürzt, am Portal liegen noch Benzinkanister und Patronenhülsen.

Erschüttert steht der 76-jährige Kurtai Faik vor den Trümmern. „Ich fühle mich furchtbar“, sagt der albanische Einwohner der Stadt auf Serbisch. Er kann es nicht fassen, dass das Herzstück seiner 90.000 Einwohner zählenden Stadt so zugerichtet wurde. „Schon 1999, nach dem Einmarsch der Nato, brannten viele serbische Häuser, doch nicht einmal damals haben sie sich an die Kathedrale rangetraut.“ Und er deutet auf die Graffiti auf den alten Steinen. „UÇK“, steht da zu lesen, „Tod den Serben“ und „Nieder mit der Unmik“, der UN-Mission im Kosovo.

Auch andere ältere Menschen versammeln sich vor den Ruinen. Im Zentrum von Prizren lebten bisher Serben, Albaner, muslimische Slawen wie die Goranj und Bosniaken und natürlich Türken seit Jahrhunderten zusammen, hier spricht man die Stadtsprache Türkisch, um sich zu verständigen. Für alle diese Altbürger ist es normal, vom Türkischen ins Albanische oder ins Serbische zu wechseln.

Doch jüngere Leute flanieren in der Stadt wie immer, die Cafés sind voll besetzt. Manche lächeln sogar, eine „klammheimliche Freude“ ist aus den Gesichtszügen zu lesen. „Ja, die serbischen Häuser sind kaputtgegangen“, sagt ein junger Mann und zuckt die Achseln. Kein Bedauern ist zu spüren. „Die jungen Albaner kennen unsere Tradition nicht mehr“, sagt ein Alter, der sich mit der weißen Kappe der Muslime als religiöser Mensch zu erkennen gibt. „Es gibt nur einen Gott, und der war auch in diesem Gotteshaus.“

Die islamische Gemeinschaft hat ihr Bedauern ausgedrückt, die Regierung in Prishtina beeilte sich, den Wiederaufbau zu versprechen. Doch bisher ist es der örtlichen und internationalen Polizei nicht einmal gelungen, einen der Täter zu fassen.

Als sich am Mittwochnachmittag rund 600 kosovo-albanische Demonstranten versammelten, standen noch deutsche KFOR-Soldaten vor den historischen Gebäuden. Um 17 Uhr ließen Demonstranten vor dem Hauptquartier der KFOR-Truppen die kosovo-albanische „Befreiungsarmee“ UÇK hochleben. Gegen Abend dann warfen die Demonstranten im historischen Zentrum und beim 400 Meter entfernten Gebäude der UN-Übergangsverwaltung Unmik Steine. Einige Fensterscheiben gingen dort zu Bruch. Augenzeugen berichten, dass es den Demonstranten gelang, von der Rückseite her ins Kloster vorzudringen. Sie legten die ersten Feuer. 80 Mann sollten die Objektschützer verstärken. Die deutsche KFOR evakuierte hastig die serbische Bevölkerung – 34 Personen – aus den historischen Gebäuden und den umliegenden Häusern. Um 22 Uhr kam jedoch der Befehl zum Abzug. Die Soldaten beschränkten sich auf den Schutz des Unmik-Gebäudes.

Und damit war nach vier Jahren ständiger Bewachung der Weg für die Demonstranten frei, Kirche, Kloster und Häuser abzufackeln. Drei Serben sind nach unbestätigten Berichten getötet worden. Jetzt, nachdem in der Stadt alles wieder ruhig ist, stehen erneut deutsche Soldaten vor den Ruinen. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden verschärft. Gepanzerte Fahrzeuge bewegen sich auf den Straßen, neue Truppen aus Deutschland und Italien sind schon eingetroffen „In einer Nacht ging die Arbeit von vier Jahren zu Bruch“, sagt einer der Soldaten.

Die KFOR-Friedenstruppen sind in Erklärungsnot. „Jahrelang sperrten sie die Brücke mit ihren gepanzerten Fahrzeugen und die Gebäude mit dem Nato-Stacheldraht. Warum wurden in dieser Nacht nicht zusätzlich die schmalen Gassen dicht gemacht? Niemand hätte da durchkommen können“, sagen viele Einwohner. Major Sergio Tamai, der eloquente Pressesprecher des italienisch-deutschen Bataillons, beschönigt nichts. Der Venezianer bestätigt den Ablauf der Ereignisse. „Wir standen vor der Entscheidung, zu schießen oder uns zurückzuziehen“, sagt er. „Was hätte es bedeutet, wenn vierzig Demonstranten und vielleicht drei unserer Männer getötet worden wären? Gebäude kann man wieder aufbauen, Menschen zum Leben erwecken nicht.“ Immerhin, so lässt er durchblicken, würden die Vorgänge sorgfältig untersucht. Und irgendwann würden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen.

Der Ablauf der Demonstration zeigt, dass sie wohl organisiert war. Serbische Häuser brannten, albanische Nachbarhäuser nicht. Es war nicht bloß ein Mob, erklären Nachbarn. UN-Fahrzeuge wurden, bevor man sie anzündete, von Demonstranten von albanischen Häusern wegbewegt, um diese nicht zu gefährden. Alles sei geplant gewesen. Busse aus nahe liegenden Dörfern hätten junge Leute in die Stadt gebracht, sagen Informanten. Und auch, dass in allen anderen Städten des Kosovo die Aktionen zeitgleich abliefen, muss zu denken geben, erklärt der italienische Major.

Muhamed Quetaj, Chefredakteur des örtlichen Fernsehens, vermutet den Veteranenverband der UÇK als Organisator. Und „es könnten auch islamische Fundamentalisten dahinter stehen, die mit solchen Aktionen unsere multireligiöse Tradition zerstören wollen“.

Viele Albaner fragen sich auch, warum die Kosovo-Schutztruppe TMK von der KFOR nicht eingesetzt worden ist. Die Amerikaner hätten diese aus der UÇK hervorgegangene Truppe in der Stadt Gjiljane mit Erfolg eingesetzt und die dort lebenden Serben besser schützen können, als dies in Prizren der Fall war.