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Archiv-Artikel

Grundrecht der Mächtigen

Datenschutztag auf der Cebit: Nicht mehr ob, sondern wie oft abgehört wird, ist die Frage: Täglich wird in Deutschland 750mal angezapft

Hannover taz ■ Der große Bruder hört immer mit. Nicht mehr ob, sondern nur noch wie oft jedes Telefonat angezapft wird, sei noch die Frage, sagte gestern Jürgen Kühling – und niemand widersprach ihm. Der Ex-Richter am Bundesverfassungsgericht ging Lauscher von Polizei und Geheimdiensten beim Datenschutztag auf der Cebit hart an. „Der Staat schützt uns vor Genfood, das Baurecht schützt uns vor hässlichen Städten – warum schützt niemand das im Grundgesetz verbriefte Fernmeldegeheimnis?“, fragte Kühling.

Allein der Bundesnachrichtendienst zapft pro Tag 100.000 Telefongespräche an, davon 750 in Deutschland. Aber er verfolge „nur“ drei weiter, betonte Volker Homuth, Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Allerdings wildern auch Polizei und andere Geheimdienste in deutschen Gesprächskanälen. Da führen nicht nur Privatpersonen keine Privatgespräche mehr. „Auch Firmen müssen damit rechnen, abgehört zu werden“, sagte Homuth zum Thema Wirtschaftsspionage. Eigentlich haben die Schlapphüte auch nichts dagegen, dass Telefonate leicht anzuzapfen sind: Bei einer „totalen Verschlüsselung“ der Kommunikationswege liefen „staatliche Maßnahmen“ ins Leere.

„Jede Form der Verschlüsselung ist doch für Geheimdienste knackbar“, konterte der Brandenburger Datenschutzbeauftragte Alexander Dix. Nur: Für Privatkunden gebe es derzeit keine Schutz-Software auf dem Markt. Ex-Richter Kühling fügte hinzu, das Telefongeheimnis dürfe „kein Grundrecht der Reichen und Mächtigen“ werden.

Der Anstieg der Abhörmaßnahmen habe damit zu tun, dass es immer mehr Handys gibt, betonte Heike Fischer vom niedersächsischen Landeskriminalamt. Albanische „Handywegschmeiss-Banden“ benutzten bis zu 90 verschiedene Handys, um sich zu tarnen. Klar wurde auch, wie machtlos die Polizei eigentlich ist. Fischer zum Thema Lauschen: „Wir haben ja kaum andere Ermittlungsmöglichkeiten.“ Er habe den Eindruck, dass Richter Abhöranträge der Staatsanwälte „einfach nur abzeichnen“, kritisierte Joachim Ries vom Handy-Anbieter Debitel. Richterliche Kontrolle werde „lasch gehandhabt“. Auch bei leichteren Vergehen wolle die Polizei mithören. Ries: „Es ist eigentlich egal, bei welcher Straftat.“

Das wurmt auch Bayerns Datenschutzbeauftragten Reinhard Vetter: „Der Eingriff in das Grundrecht müsste klar auf schwere Straftaten und die Abwehr erheblicher Gefahren für Leib und Leben begrenzt werden.“ Lauschen, so der Brandenburger Dix, dürfe nicht mehr „prima, sondern nur noch ultima ratio“ sein. Kai Schöneberg