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Archiv-Artikel

Hauptschule im Tief

Immer weniger Eltern melden ihr Kind für die fünfte Klasse an Haupt- und Realschule an. Mindestens jeder fünfte Standort steht zur Disposition

Britta Ernst: „An der Hauptschule ist die Gefahr von Schulversagen besonders groß“

von KAIJA KUTTER

Die diesjährige Anmelderunde für die fünften Klassen hat es in sich. Während Schulpolitiker darum streiten, ob nach Pisa das dreigliedrige Schulsystem in Frage gestellt gehört, stimmen Hamburgs Eltern mit den Füßen ab: Nur noch 21,4 Prozent meldeten ihr Kind an einer Haupt- und Realschule an. 45 Prozent dagegen wählten für ihren Nachwuchs das Gymnasium, 30,9 die Gesamtschule. Setzt sich der Trend so fort, gibt es HR-Schulen in zehn Jahren nicht mehr.

Doch viele der 71 HR-Standorte geraten schon jetzt in Nöte. Denn die Anmeldungen gingen nicht nur in Prozenten, sondern auch absolut zurück. Sie sanken gegenüber 2001 und 2002 um über tausend Kinder auf 12.858. Ein Schwund, für den auch Schulaufsichtsleiter Norbert Rosenboom „keine Erklärung“ hat.

Die Folge: Jede fünfte HR-Schule hat zu wenig Schüler, um eine Klasse zu bilden. Und drei von vier Schulen unterschreiten die Mindestgröße von 50 Schülern, die nötig wären, um ein Wahlpflichtangebot zu erstellen.

Durch die Zahlen wird aktuell, was unter dem Titel „Barmbeker Modell“ in der Behördenschublade ruht. Rosenboom und Kollegen haben für diesen Stadtteil eine Schulentwickungsplanung für die nächsten 15 Jahre erdacht, indem sie die traditionellen Standorte mit „pädagogisch optimalen“ Schulgrößen abglichen. Dazu gehört auch die Zusammenlegung von Grundschulen und gymnasialen Oberstufen. „Die Sache ruht“, erklärt Rosenboom, erst mal müsse die neue Senatorin Alexandra Dinges-Dierig (parteilos) ins Bild gesetzt werden. Zum Sommer 2004 werde sich deshalb nichts ändern. Es könnte jedoch sein, dass zum Sommer 2005 eine solche Schulentwicklungsplanung für ganz Hamburg verabschiedet wird.

Rosenboom geht davon aus, dass es „zu viel bebaute Schulfläche pro Schüler“ gibt. Als pädagogisch optimal gilt eine dreizügige HR-Schule mit 75 Schülern. Abgeglichen mit der 2004er Zahl von 2.749 Fünftklässlern stünde laut taz-Rechnung gar jeder zweite HR-Standort zur Debatte.

Die Sache wurde nicht grundlos diskret gehandhabt. Hamburg erlebte niemals größere Schülerproteste als in den frühen 80ern, als SPD-Senator Grolle einen „Seppel“ (Strukturentwicklungsplan) einbrachte.

Allerdings ist in der Bildunsgsszene keiner geneigt, die Sache zu emotionalisieren. „Man sollte nicht von Schulsterben sprechen. Schule ist eine Dienstleistung, kein Organismus, der lebt“, sagt ein Sozialdemokrat. Auch der Elternkammervorsitzende Holger Gisch sieht für ältere Schüler einen Vorteil in größeren Standorten: „Es muss aber bei den Grundschulen gelten: Kurze Wege für kurze Beine.“

Die SPD beharrt jedoch darauf, die Ergebnisse der 1997 gestarteten „Lernausgangsuntersuchung“ (LAU) ernst zu nehmen, stellte diese Längsschnittstudie, die Schüler von Klasse fünf bis neun begleitete, doch fest, dass Schüler an Integrierten Haupt- und Realschulen (IHR) sowie an Gesamtschulen mehr lernen als im klassischen HR-System.

„Ich kann Eltern gut verstehen die die Hauptschule meiden“, sagt die SPD-Schulpolitikerin Britta Ernst: „Hier ist die Gefahr von Schulversagen besonders groß.“ Mit 14 Prozent haben Hauptschulen die größte Quote von Schülern ohne Abschluss. Nachdem der alte Senat bei IHR kürzte, solle die neue Schulsenatorin jetzt alle HR-Schulen in Integrierte umwandeln.

Doch dazu scheint die CDU nicht bereit. Laut Regierungserklärung will sie partout die Hauptschulen stärken. Bleibt abzuwarten, wie die Abstimmung mit den Füßen weitergeht.