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Archiv-Artikel

Wiedersehensfreude vor Gericht

Ein Arzt soll mit Kokain gehandelt haben. Ein Drogenkurier soll gegen ihn aussagen. Dieser freut sich aber mehr über das Treffen mit dem alten Freund auf der Anklagebank

„Dr. T.“ gibt sich wortkarg. Kokain im Wert von 25.000 Euro soll er 1998 in Jamaika bestellt haben, um es in Berlin zu verticken. Deswegen sitzt der 42-Jährige nun zusammen mit einem Apotheker aus Potsdam auf der Anklagebank. Doch der braun gebrannte und randlos bebrillte Arzt sagt lediglich, dass er jetzt in Trinidad lebe und gar keinen Doktortitel habe. Mehr nicht. Der Wahrheitsfindung des Gerichts dürfte dies am ersten Verhandlungstag kaum geholfen haben.

Im Zeugenstand steht auch noch der Drogenkurier, den die Polizei in Berlin erwischt hatte. Aber schon vor der Verhandlung war absehbar, dass auch dessen Aussage nicht ergiebig sein würde – zumindest nicht im Sinne der Anklage. Denn kaum wird der Zeuge Michael von A. aufgerufen, stürmt ein Mann mit Lederkappe, langen Haaren und Cordhose auf den Angeklagten, den Arzt T., zu und umarmt ihn.

Angesichts dieser Begrüßung ist der weitere Verlauf nicht sonderlich erstaunlich. „Jetzt kommt die große Frage“, sagt einer der Richter wenig später, macht eine kurze Kunstpause und fragt dann Michael von A.: „Was hat T. mit diesem Drogengeschäft zu tun?“ Auch Michael von A. macht eine kurze Kunstpause und sagte dann: „Nichts“. T. habe aber sehr viel mit ihm selbst zu tun. „Wir waren befreundet, soweit er mit einem Drogenabhängigen befreundet sein konnte.“ Man kennt sich noch aus Jamaika.

Es geht dann um Dinge, die längst gerichtsbekannt sind, weil der Zeuge wegen des Schmuggels von einem Kilogramm Kokain zu vier Jahren Haft verurteilt wurde, es also schon eine Gerichtsakte gibt, in der alles über ihn steht. Aber weil Gerichtsakten nicht Gegenstand der richterlichen Überzeugung sein dürfen, muss er alles noch einmal erzählen.

A. macht das in dem schnörkellosen und gestochen scharfen Deutsch eines Autors von Reiseführern und Übersetzers, der er ist. Er erzählt, wie er als Reisejournalist nach Jamaika kam, wie er dort eine Frau liebte, die kokainabhängig wurde und daraufhin auch er „aus Dummheit und Überheblichkeit“ mit der Droge anfing. Wie er umgerechnet 900 Mark Schulden hatte und sich deswegen auf das Ansinnen eines jamaikanischen Dealers einließ, ein Kilogramm Kokain nach Deutschland zu schmuggeln. Auch wie er die Drogen schmuggelte, erzählte Michael von A., und das ist das fast das Einzige, was die Staatsanwältin am ersten Verhandlungstag darin bestätigen kann, dass der Arzt T. mit der Sache doch etwas zu tun hat.

Denn versteckt hatte von A. das Kokain in einem Buch, das T. ihm gegeben hatte. Allerdings kann von A. auch das so erklären, dass es T. entlastet. Er sei „von Natur und Beruf eine Leseratte“ und der Lesestoff in Jamaika sehr knapp. Da habe er sich an seinen Freund T. gewandt und sei stets mit Stapeln Büchern von ihm zurückgekehrt. Nicht alle habe er zurückgebracht und dieses eine sei als Schmuggelversteck gut geeignet gewesen.

Von A. hat dafür 33 Monate gesessen. Er ist jetzt wieder frei, auch von den Drogen. Er wohnt heute in einer kleineren Stadt in Deutschland und versucht zu einem Leben zurückzukehren, das der Richter kontinuierlich als „bürgerlich“ bezeichnet, während er selbst auf „normal“ beharrt. Er schreibt wieder, die Umschulung zum Schreiner im Gefängnis hat ihm einen Auftrag als Übersetzer eines Hobby-Tischler-Buchs gebracht.

Die Richter interessiert das wenig. Interessiert am Lebenslauf des Zeugen ist der Angeklagte. Kaum ist die Verhandlung vorbei, stellt der Zeuge dem Angeklagten seine Freundin vor. Die beiden stehen noch lange auf dem Flur und reden und freuen sich über das Wiedersehen. Manchmal dient ein Prozess der Freundschaft, nicht der Wahrheitsfindung. MAREKE ADEN