„Seit Monaten auf der Abschussliste“

Der israelische Reservegeneral Abraham Rotem verteidigt den Anschlag auf Scheich Jassin: „Es geht hier nicht um einen großen Gerechten“

taz: Scheich Jassin war ein politischer Führer und hatte mit dem Bau von Bomben nichts zu tun. Welchen strategischen Nutzen für die Sicherheit Israels bedeutet sein Tod?

Abraham Rotem: Jassin war nicht nur der politische Führer, sondern der Führer der Hamas schlechthin. Er war die Seele, der religiöse und soziale Vater einer Organisation, die jede Verhandlung, jeden Frieden mit Israel ablehnt. Eine Organisation, die Juden tötet, weil sie Juden sind. Jassin hat die öffentliche Meinung für die Selbstmordanschläge beeinflusst. Hier geht es nicht um einen großen Gerechten.

Aber macht sein Tod das Leben der Israelis sicherer?

Unsere Erfahrung zeigt, dass einer der erfolgreichsten Wege, den Terror zu bekämpfen, der ist, die Führung in die Flucht zu schlagen. Die Drahtzieher müssen wissen, dass wir hinter ihnen her sind, dass sie täglich ihren Aufenthalt und Schlafplatz wechseln müssen. Sie müssen Angst haben, sich gegenseitig zu treffen, sie müssen sogar Angst haben zu telefonieren. Eins der effektivsten Mittel ist, die Führung in die Defensive zu bringen, damit sie weniger Zeit hat, sich um die Planung von Anschlägen zu kümmern.

Nach der Hinrichtung des militanten Führers Ichije Ajasch im Januar 1996 mussten hundert israelische Zivilisten ihr Leben lassen. Wie kann die israelische Regierung mit der Last der künftigen Opfer leben?

Niemand hegt die Illusion, dass der Tod Jassins das Ende des Terrors bedeutet. Aber genauso gibt es keinen Zweifel, dass auch ohne die Militäroperation gegen Jassin Israel jeden Tag mit 50 konkreten Terrorwarnungen konfrontiert wird. Jeden Monat fangen unsere Sicherheitskräfte zwischen 30 und 40 tickende Zeitbomben ab, Männer, die auf dem Weg zu Terrorattentaten sind. Zum Glück ist unser Geheimdienst gut genug, um über 80 Prozent der versuchten Anschläge zu unterbinden. Die Schüler Jassins versuchen permanent, Attentate zu lancieren. Mag sein, dass sie nun, wo ihr spiritueller Vater getötet wurde, besonders motiviert sein werden. Unser Problem ist, dass es tausende Palästinenser gibt, die Gewehre und Sprengstoff bei sich zu Hause haben und die individuell entscheiden, wann sie zu einer Aktion losziehen. Das kann heute oder morgen passieren. Das könnte jeden Tag passieren. Aber prinzipiell zu sagen, dieses Attentat ist ein Vergeltungsschlag für diese Militäroperation – das ist Unsinn. Wir haben es mit einem langfristigen Krieg zu tun.

Premierminister Ariel Scharon wird nächste Woche in die USA reisen. Die internationalen Reaktionen sind bislang nicht gerade verständnisvoll. Warum hat Israel ausgerechnet jetzt zugeschlagen?

Weil es jetzt die Möglichkeit dazu gab. Scheich Jassin und andere der Hamas stehen schon seit Monaten auf der Abschussliste. Heute war es verhältnismäßig leicht, er war nur von seinen Leibwächtern umgeben. Es wurden also keine Zivilisten in Gefahr gebracht. Mit Scharons Reise in die USA hatte die Operation nichts zu tun. INTERVIEW: SUSANNE KNAUL