: „Hier wird ein Exempel statuiert“
Jochen Thärichen, Intendant der Berliner Symphoniker, ist sauer über den Haushaltsbeschluss, seine Akteure und besonders auf Wowereit. Um das Orchester zu retten, geht er vor Gericht und kündigt erst einmal keinem Musiker
taz: Herr Thärichen, das Parlament hat das Aus für die Berliner Symphoniker beschlossen. Spielten ihre Musiker für Rot-Rot zu schlecht?
Jochen Thärichen: Nein, wir spielen nicht schlecht. Es musste ein Bauernopfer gefunden werden, um zu zeigen, dass Berlin spart.
Welche unmittelbaren Konsequenzen hat die Streichung von 3,3 Millionen Euro Fördermittel für das Orchester?
Wir führen den Betrieb weiter wie geplant bis zum Ende der Spielzeit im August 2004. Darüber hinaus gibt es Verpflichtungen in 2005, die wir zu erfüllen haben. Es kann doch nicht rechtens sein, dass der Verein Berliner Symphoniker vom Land gezwungen wird, seine Verträge nicht einzuhalten, und in die Insolvenz getrieben wird.
Sieht aber nicht alles danach aus, dass Sie vor das Orchester treten und sagen müssen: „Geht nach Hause“?
Erst einmal versuchen wir, ein Gerichtsurteil zu erwirken, dass der Spielbetrieb fortgesetzt werden kann. Wenn das nicht gelingt, ist es in der Tat so, dass der Verein seine Verpflichtungen gegenüber den Angestellten nicht mehr wahrnehmen kann.
Sichert ein möglicher erfolgreicher Klageweg nicht nur bedingt den Fortbestand des Klangkörper bis 2005? Was kommt dann?
Immerhin können dadurch Verträge mit dem Mitarbeitern, den Musikern, Dirigenten, die Mieten und Reisen und alles was sonst noch dazugehört ordentlich auslaufen. Jetzt können wir nur sagen: „Guten Tag, meine Damen und Herren, wir haben kein Geld mehr, danke schön, morgen ist Feierabend.“
Wie viele Musiker könnten Sie sofort auf die Straße setzen?
Ich kündige niemandem. Außerdem haben rund zwei Drittel der Musiker ja laut Tarifvertrag Anspruch auf Kündigungsschutz über die Spielzeit 2004 hinaus. Ich weiß auch, dass 45 Orchestermitglieder gar keine Chance haben, sich gleich nach Alternativen auf dem Markt umzusehen.
Wann endet denn Ihr Vertrag?
Bei mir steht im Vertrag, wenn es keine Zuwendungen mehr gibt, endet der.
Welche Atmosphäre herrscht jetzt im Orchester – nach der Parlamentsentscheidung?
Es gibt eine tiefe Resignation. Aber es besteht auch ein kämpferisches Gefühl. Wir müssen das alles erst einmal verkraften. Sie erinnern sich, dass der Kulturausschuss noch für den Erhalt plädiert hatte und die enorme Intervention von Herrn Wowereit doch für viele von uns überraschend kam.
Seit Mitte 2003 stehen doch die Symphoniker auf dem Index. Müssen Sie sich nicht auch den Vorwurf gefallen lassen, zu lange einer unrealistischen Überlebenshoffnung nachgerannt zu sein?
Nein. Wir haben unendlich viel gearbeitet, um den Fortbestand des Orchesters zu sichern. Ich habe alles menschenmögliche getan. Aber gegen den persönlichen Rachefeldzug von Wowereit scheint kein Kraut gewachsen. Dieses Orchester ist das kleineste, das preiswerteste, hat wenig Verwaltungsaufwand, eine große Bandbreite seitens des Repertoires und macht die Bildungs- und Basisarbeit für andere. Das sind wir. Hier haben nicht wir geschlafen, es sollte ein Exempel statuiert werden.
Welches Exempel?
Senator Flierl hat ein Strukturpapier für die Orchester angekündigt. Es sollen 50 Prozent der Orchester reduziert werden. Es soll der gleiche Weg wie bei den Bühnen eingeschlagen werden. Seit 1993, nach der Schließung des Schillertheaters, wurden zehn Bühnen dichtgemacht oder privatisiert.
Das Land Berlin ist pleite. Ist es nicht auch für kulturelle Institutionen ratsam, sich nach anderen Töpfen und Strukturen umzusehen, statt nur auf die öffentliche Hand zu starren?
Wir haben versucht, Sponsoren zu finden. Wir haben mit anderen Orchestern über Entlastungen des Etats gesprochen. Außerdem nehmen wir ja auch eine Million Euro ein. Und schließlich haben wir mit zweieinhalb Planstellen mehr als „schlanke“ Strukturen, oder? Unser Manko ist, dass die Symphoniker mit ihrem künstlerischen und zugleich sozialen Anspruch für Großsponsoren nicht so interessant sind wie etwa die Philharmoniker. Darum bleibt die Aufgabe zur Grundversorgung die des Staates. Das muss so bleiben. INTERVIEW: ROLA