Die Endstufe zündet

Buchmessern: Heute Abend wird die Leipziger Buchmesse eröffnet – Dieter Bohlen fehlt, dafür sind Skandalist Thor Kunkel und Helmut Kohl dabei. Und alles wird gut!

Schon bevor heute Abend der Pen-Club-Präsident Jirí Grusa im Gewandhaus in Leipzig die Leipziger Buchmesse eröffnen wird, ist eines sicher: Diese Buchmesse wird eine erfolgreiche. Nach ihrem Umzug 1998 vom Zentrum ins neue Messegelände am Stadtrand wächst sie jedes Jahr ein bisschen mehr. Auf allen Kanälen vermeldet also der als „Projektleiter“ fungierende Messechef Oliver Zille, dass dieses Jahr erstmals über 2.000 Aussteller aus 29 Ländern teilnehmen – ein Zuwachs im Vergleich zu 2003 von fünf Prozent – und man mit über 100.000 Besuchern rechne (im Vorjahr: 88.000).

Diese Zahlen sind natürlich nichts im Vergleich zur großen Schwester in Frankfurt, die dreimal so groß ist (über 6.000 Aussteller aus über hundert Ländern und rund 270.000 Besucher). Und sie ändern auch nichts daran, dass viele Verlage weiterhin schwer zu ächzen haben unter den Umsatz-Einbrüchen der letzten beiden Jahre.

Zilles Erfolgszahlen könnten aber denen zu denken geben, die sich immer so wahnsinnig darauf freuen, dass in Leipzig alles ein paar Ideen entspannter, ruhiger und lässiger zugeht. Das gilt besonders für die Literaturbetriebsmenschen. Aber auch für das Publikum, das hier anders als in Frankfurt eine Christa Wolf oder einen Adolf Muschg eben schnell noch mal in den Gängen um eine Widmung anhauen kann; und dass bei den „Leipzig liest“-Veranstaltungen (nun auch um eine „Leipzig hört“-Reihe aufgestockt) ungleich mehr Lesungen besuchen kann.

Andererseits hat das Spektakel, das die gemütliche Leipziger Buchmesse eben auch ist, sein Gutes: Es macht alle Autoren ein bisschen gleicher. Die Messe ist der Star, das Publikum und eigentlich alle, die da sind. Deshalb haben Feuilletons und Lifestyle-Mags jedes Mal wieder Probleme, sich überhaupt auf einen Autorensuperstar zu einigen. So hat der willig-widerwillige Skandalist Thor Kunkel zwar sicher ein großes Publikum, wenn er am Freitag seinen von Rowohlt geschassten und nun bei Eichborn.Berlin am 30. März veröffentlichten Nazi-Porno-und-sonstwas-Roman „Endstufe“ erstmalig vorstellt. Trotzdem dürfte er merken, dass die Messe deshalb keineswegs still- oder gar Kopf steht.

Auch Helmut Kohl wird bei der Vorstellung seiner Erinnerungen einigen Auflauf verursachen, dabei aber feststellen müssen, dass der Mantel der Geschichte ihn schon länger nicht mehr anweht und sein stilistisch unsägliches Buch ein typischer Schnelldreher ist.

Apropos Schnelldreher: Die Naddels und Bohlens setzen diese Buchmesse aus. Sie sind schon wieder raus aus den Charts, passen aber auch nicht wirklich nach Leipzig, wo weniger das Geschäft und der Glamour regieren als der Intellekt und die kleinen und mittleren Verlage, von denen etwa die Hamburger Edition Nautilus dieses Jahr den Kurt-Wolff-Preis erhält.

Anzunehmen ist, dass auch der unsägliche, zum dritten Mal verliehene Deutsche Bücherpreis dieses Mal im allgemeinen Treiben untergeht – die „Gala“ wird sicher noch okayer als 2003 über die Bühne gehen, aber wen interessiert wirklich, ob nun Wolfgang Joop oder Siegfried Lenz mal wieder einen Preis bekommen? Da ist die Verleihung des Preises zur Europäischen Verständigung an den bosnischen Autoren Dzevad Karahasan schon ein größeres Signal, nicht zuletzt wegen der im Kosovo wieder aufgeflammten ethnischen Unruhen. Und vielleicht nützt sogar ein Jirí Grusa die Messe zur Werbung in eigener Sache. Denn Grusa ist nicht nur Politiker und Schriftstellerfunktionär, sondern auch ein beachtlicher Dichter, dessen Gedichtband „Der Babylonwald“ beispielsweise von Sarah Kirsch mit Smetanas „Moldau“ verglichen wurde. GERRIT BARTELS