PETER AHRENS über PROVINZ
: Schlange stehen bei Olaf Scholz

Seit Schill weg ist, geht es in Hamburg wieder hanseatisch zu: Interessant sind die echten Verlierer – für einen Abend

Dass der FC St. Pauli auf dem besten Weg in die Oberliga ist, darüber bin ich mir mit dem Kollegen vom NDR ganz schnell einig. Jetzt haben sie sogar gegen Holstein Kiel verloren, Holzbein Kiel. Runter von Liga eins bis Liga vier in einem Rutsch – das ist Weltrekord, behauptet der Kollege, das hat noch keiner geschafft, nicht mal Fortuna Düsseldorf. Und was ist eigentlich mit Waldhof Mannheim? Sind die inzwischen auch Oberliga? Tja, das war noch gute Verteidigerschule damals, aber Schlappi als Trainer war natürlich eine Katastrophe.

Ein gutes Gesprächsthema. Der Abend lässt sich gut an. Es ist einer dieser Abende, an denen die Hamburger Medien und Politiker sich zu dem treffen, was zu Ludwig Erhards Zeiten gemütliches Beisammensein hieß. Junge Frauen gehen umher und reichen Zigaretten, die ein Tabakkonzern spendiert. Vorne erzählt der Redner etwas von politischer Kultur und von denen in der Politik, die immer nur die schnelle Schlagzeile wollten, und im Saal breitet sich das wohlige Gefühl aus, nicht gemeint zu sein. Gemeint ist Ronald Schill, und mit dem hatten sie ja alle nie etwas zu tun, den kennen sie im Grunde überhaupt nicht, der ist auch gar nicht mehr eingeladen.

Olaf Scholz dagegen schon. Die Presseleute hängen an ihm dran. Einen Tag zuvor haben die Genossen in Berlin Scholz aus dem Amt des Generalsekretärs herausapplaudiert, ein echter Verlierer demnach, und Verlierer sind interessant, zumindest einen Abend lang. Scholz grinst sein Grinsen, von dem man nie weiß, wie es gemeint ist. Dazu sagt er noch, dass er all die vergangenen Monate über in der Hauptstadt immer gut geschlafen habe und man Politikerleben ja nicht immer nur an der steten Laufbahnentwicklung nach oben messen dürfe. Stattdessen müsse man sich fragen, ob ein Land mit diesen Medien-Mechanismen überhaupt noch regierbar sei. Scholz erinnert sich an ein „brillantes Interview, das ich dem Tagespiegel gegeben habe“, die Zeitung hat daraus eine böse Schlagzeile gebastelt, und niemand habe mehr über die Inhalte des Interviews gesprochen. Wir nicken allesamt, Berlin muss schlimm sein, eine Schlangengrube, „tja, das ist die Meute“, wirft einer ein, und wir alle schauen, von der jähen Schwere dieser Worte angefasst, nachdenklich auf unsere übersichtlichen Dessertteller.

Der Bürgermeister wogt vorbei, ein Gewinner, der Star des Abends. Ole von Beust fragt Scholz mitleidig, ob er „denn froh ist, dass jetzt alles vorbei ist“, der zuckt mit den Schultern, von Beust raunt ihm noch zu: „Enjoy your life“, bevor er weiterschwebt, um die nächsten mit einem persönlichen Wort glücklich zu machen.

Bei Scholz stehen sie dagegen Schlange wie bei einem Kondolenzbesuch. Der ehemalige Chef der mächtigen Handelskammer redet mit ihm, als sei er ein kleines Kind, das seine Eltern verloren hat. „Es wird schon noch weitergehen“, tröstet er und ist ganz erleichtert, als er von Scholz hört, dass dieser ja noch Bundestagsabgeordneter sei und demnach nun wider Erwarten nicht in der Gosse landen muss. Der Kollege von der Frankfurter Rundschau kommt herangeschlendert, um den SPD-Mann zu begrüßen: „Ich muss doch meinem künftigen Chefredakteur mal die Hand drücken.“ Das Grinsen von Scholz ist festgewachsen. Das hat er zwei Jahre lang zur Perfektion üben können.

An diesem Abend verstehen sich alle, „das ist ja eine echte Begegnung zwischen Politik und Medien“, spottet der Gewerkschaftsboss, das Glas guten Rotweins in der Hand. Fingerfood wird in homöopathischen Häppchen gereicht, aber dafür geht es hanseatisch zu, jetzt wo die Schill-Leute wieder aus dem politischen Kosmos vertrieben sind. Diese Parvenus, die sich an solchen Abenden fast um die dicken Havanna-Zigarren balgten. Gut, dass das vorbei ist, dass jetzt mit der CDU wieder Leute allein regieren, die noch Manieren haben und auch den Grünen die Hand drücken, wenn sie ihnen am Buffet begegnen.

Mein Abend endet an der Dönerbude. Ich diskutiere mit meinem Imbisswirt noch ein bisschen darüber, ob der FC St. Pauli in die Oberliga absteigt.

Fotohinweis: PETER AHRENS PROVINZ Fragen zu Verlierern? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER