: Fruchtbarer Boden für Scharfmacher
Das Klima im Kosovo vergiftet auch die Stimmung in Serbien. Und die konservative Regierung ist schwach
BELGRAD taz ■ „Exodus“, „Pogrom gegen die Serben in der Wiege des Serbentums“, so lauten seit einer Woche Überschriften serbischer Zeitung. Bilder von serbischen Flüchtlingskolonnen, brennenden serbischen Dörfern machen die Runde. Politiker in Belgrad sind sich einig: Im Kosovo führen albanische Extremisten eine „organisierte ethnische Säuberung“ durch. Die internationale Friedenstruppe KFOR schaue entweder tatenlos zu oder evakuiere die serbische Bevölkerung aus ihren Enklaven, anstatt sie zu verteidigen.
Empörung verbreitet sich unter den Serben. Als Vergeltung für die Zerstörung serbisch-orthodoxer Klöster und Kirchen setzten am Wochenende Vandalen die Moscheen in Nis und Belgrad in Brand. Die serbische Regierung reagierte sofort: Zwei Dutzend Hooligans wurden verhaftet, die Belgrader Polizeiführung wurde abgelöst. Die Regierung zeigt Entschlossenheit, Rachezüge gegen Albaner zu verhindern.
Eine Intervention serbischer Streitkräfte wäre „reiner Selbstmord“, antwortete Verteidigungsminister Boris Tadić auf die Forderung einiger Parteien, den „Genozid der Serben“ im Kosovo mit militärischen Mitteln aufzuhalten. Serbien seien aufgrund der UNO-Resolution 1244 die Hände gebunden, die Verantwortung für die Sicherheitslage in der Provinz trügen allein die KFOR und die UN-Verwaltung Unmik. Serbien müsse auf eine „diplomatische“ und nicht auf eine „militärische“ Offensive bauen und sich als Partner der Staatengemeinschaft bei der Konfliktlösung etablieren.
In diesem Sinne schlug Serbiens neuer Ministerpräsident Vojislav Koštunica eine „territoriale Autonomie und Selbstverwaltung“ serbischer Enklaven im Kosovo vor, das wiederum seine durch die UNO-Resolution garantierte „Autonomie im Rahmen der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro“ behalten sollte. Dieser Entwurf ist zwar kompatibel mit der UNO-Resolution, dürfte aber auf heftigen Widerstand der kosovo-albanischen Regierung stoßen, die eine Unabhängigkeit anstrebt.
Der konservative, national orientierte Premier Koštunica sagte: „Wenn Serbien das Kosovo verliert, dann gibt es uns nicht mehr.“ Er stellte Richtlinien seiner Regierung auf, was den Status des Kosovo angeht. Koštunica muss Acht geben, die vorerst gute außenpolitische Lage Serbiens nicht zu verspielen, und er muss aufpassen, dass er die Kontrolle über die rechtsradikalen Kräfte bei der gegenwärtigen Stimmung nicht verliert. Das dürfte ihm schwer fallen, weil seine Minderheitsregierung auf die Unterstützung der Milošević-Sozialisten angewiesen ist. Die mit Abstand stärkste Partei in Serbien sind die ultranationalistischen Radikalen von Vojislav Šešelj – eines Häftlings des UN-Tribunals für Kriegsverbrechen.
Die Krise im Kosovo eskaliert in einem für Serbien ungünstigen Moment: Die neuen Minister haben vor knapp einem Monat den Eid geleistet und sind noch nicht eingearbeitet. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 50 Prozent. Es ist ein sprichwörtlich fruchtbarer Boden für Demagogen und Scharfmacher.
ANDREJ IVANJI